Neuss Der deutsche Zeitgeist im Schlager

Neuss · Neuss 2009, ein Jahr der Jubiläen und zugleich ein so genanntes Superwahljahr. Beste Gelegenheit, sich einmal mit der Geschichte der Bundesrepublik zu beschäftigen, die zudem ihr 60-jähriges Bestehen feiert. Andre Port le Roi tat dies in der Stadtbibliothek auf seine Weise.

Unter dem Motto "Schlager lügen nicht" fand er einen völlig neuen Einstieg in das Thema, beobachtete den Zeitgeist an einem musikalischen Phänomen, dass die Deutschen beinahe bis heute durch ihre Geschichte begleitet hat: der deutsche Schlager.

Originell, gut strukturiert, sehr kompakt zusammengefasst und mit einigen Tonbeispielen angereichert, lieferte Port Le Roi einen so unterhaltsamen wie lehrreichen Vortrag. "Der Schlager ist ein sehr demokratisches Medium", erklärte er, "denn nur das Publikum entscheidet darüber, welche Themen und Texte erfolgreich sind. Gesellschaftliche Entwicklungen und Schlager regten sich gegenseitig an."

Der erste große Schlager, der zwischenzeitlich sogar als improvisierte Nationalhymne herhalten musste, war "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" von Karl Berbuer. Er machte auf humorvolle Art deutlich, dass die Deutschen keine Barbaren seien, die aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossen gehörten.

In den 50er Jahren, geprägt von Wirtschaftswunder und Mobilität der Deutschen, dominierten Texte über ferne Länder, besonders aber über Reiseziel Nummer Eins: Italien. Beispiele dafür: "Nicolino" von Lou von Burg und "Komm ein bisschen mit nach Italien" von Caterina Valente und Peter Alexander.

Podium Hitparade

Die 60er brachten dann weltpolitische Veränderungen, gegen die sich der deutsche Schlager anfangs noch zu verschließen suchte. "Mag auf der Welt auch noch so viel geschehen, wir werden niemals auseinander gehen", hieß es da.

Doch gab es auch eine andere Richtung, die mit dem Muff der Adenauer-Ära aufräumte. "Ich will 'nen Cowboy als Mann", war ein Beispiel für den neuen Cowboy- und Westernschlager, der den Spaß in den Vordergrund stellte.

Der neuen Jugendkultur der "langhaarigen Affen" nach 1964 schlug aus der Schlagerwelt teilweise blanker Hass entgegen - wie in Freddy Quinn's "Wir". Mit dem Aufkommen der ZDF-Hitparade fand der Schlager dann ein Podium, das ihm seine größten Erfolge ermöglichte.

Schlagerstars wie Rex Gildo oder Udo Jürgens eigneten sich die Insignien der Popkultur wie lange Haare und Schlaghosen an und begleiteten ab Anfang der 70er die neue Ostpolitik mit teilweise russisch eingefärbten Friedensschlagern.

Seit den 80ern verlor der Schlager dann zunehmend an Bedeutung, verlor sich in der Neuen Deutschen Welle (NDW) und seit den 90ern in deutschen Rock oder HipHop. Der Rest ging auf in Karnevals- oder Après-Ski-Hits.

(NGZ)
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