Serie Ein Blick In... Das Obertor und seine geheimen Kammern

Neuss · Der östliche Turm des Obertors ist kaum erforscht. Denn einen Blick hineinzuwerfen, ist gar nicht so leicht, erklärt Archäologe Carl Pause.

 Archäologe Carl Pause zeigt die Schießscharte am Obertor. Es ist das einzige "Guckloch" in den östlichen Turm.

Archäologe Carl Pause zeigt die Schießscharte am Obertor. Es ist das einzige "Guckloch" in den östlichen Turm.

Foto: woi

Seit mehr als hundert Jahren verwehren die meterdicken Mauern des Obertors einen Blick in ihr Inneres. Niemand weiß, was sich hinter den Gemäuern verbirgt. Einen Zugang gibt es nicht, die einzige Luke ist eine Schießscharte in etwa drei Metern Höhe, durchgucken konnte bislang aber noch niemand.

Für Carl Pause ist das schon fast eine Qual. Er ist Archäologe am Clemens-Sels-Museum, das über einen Verbindungsgang direkt mit dem letzten noch erhaltenen Neusser Stadtor verbunden ist. Täglich ist er so nah dran — und ist trotzdem dem Geheimnis, was sich hinter den Mauern des östlichen Turms des Obertors verbirgt, so fern.

"Natürlich juckt es mich schon sehr, mal einen Blick in den Turm zu werfen. Wir haben auch schon einiges versucht, bisher konnten wir durch die Schießscharte aber nichts sehen, wir müssten schließlich um die Ecke gucken", sagt Pause. Was dahinter liege, sei schwierig einzuschätzen: "Von einem Silberschatz über Müll bis hin zu gähnender Leere ist alles möglich."

Das Obertor, dessen älteste noch sichtbare Bauteile im zwölften Jahrhundert errichtet wurden, ist ein schicksalhafter Ort. Während der Belagerung von Neuss in den Jahren 1474/1475 wurde das Stadttor stark beschädigt, hielt den Eroberungsversuchen von Karl dem Kühnen und seinen Truppen aber stand. Gut hundert Jahre später war das Obertor Tatort eines grausigen Kriegsverbrechens: während der Erstürmung von Neuss durch die Spanier verschanzten sich 300 protestantische Soldaten in den Türmen. Das Innere der Türme war ein perfekter Bunker, waren sie doch nur von oben durch ein Loch im Boden zu erreichen, Türen gab es schon damals in den unteren beiden Ebenen der Türme nicht. Dennoch gaben die Soldaten auf, nachdem ihnen versichert wurde, dass sie nicht mehr mit Angriff rechnen müssten — in Wirklichkeit wurden sie danach von den Spaniern umgebracht.

Im Sommer 1900 fing die nahegelegene Ölmühle Feuer, das auch auf das Obertor übergriff und Dachstuhl sowie Inneneinrichtung zerstörte. Der Instandsetzung fiel auch der Zugang zu den unteren Etagen der Türme zum Opfer. "Dort neue Balken einzuziehen war zu aufwendig, also mauerte man die vorhandenen Durchlässe kurzerhand zu", erklärt Pause. Im oberen Teil des linken Turms gibt es immerhin ein kleines Loch im Boden. Zehn Meter tief geht es nach unten, eine heruntergelassene Baulampe erhellt, was sich dort verbirgt: Nichts. So ein Loch gibt es im rechten, also östlichen Turm, eben nicht. "Die einzige Möglichkeit für einen Einblick wäre, eine spezielle Glasfaser-Kamera durch die Schießscharte zu manövrieren", erklärt der 48-jährige. Vielleicht könnte so auch geklärt werden, ob es unterirdische Gänge unter dem Tor gibt, möglich wäre es. "Was wir auch immer dort sehen würden, die Wahrscheinlichkeit, dass man vor über hundert Jahren etwas hineingeworfen hat, was damals nicht mehr gebraucht wurde, aber heute interessant wäre, ist groß", mutmaßt Pause. Augenzwinkernd fügt er hinzu: "Falls da wirklich ein Schatz liegt, ist er zumindest in einem sehr sicheren Versteck, die Mauern haben einen Durchmesser von etwa einem Meter fünfzig."

(NGZ)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort