Neuss Das Leben selbst bestimmen

Neuss · Das Stück "Haram" erzählt von drei Kindern einer marokkanischen Familie, die sich gegen den vom Vater bestimmten Lebensweg auflehnen. Remo Hofer inszeniert es am Theater am Schlachthof als Kammerspiel.

 Halil Yavuz, Jürgen Knittl und Janina Burgmer (v.l.) spielen alle Rollen in dem Stück "Haram", das Remo Hofer schlicht und einprägsam inszenierte.

Halil Yavuz, Jürgen Knittl und Janina Burgmer (v.l.) spielen alle Rollen in dem Stück "Haram", das Remo Hofer schlicht und einprägsam inszenierte.

Foto: S. Zeller

"Haram" heißt Schande. Der dreifache Vater Amar hat Angst davor, dass seine Kinder Haram über die Familie bringen könnten. Indem sie ungehorsam sind und sich nicht respektvoll verhalten — beispielsweise. So wie seine Nichte Fatma, die auf die "schiefe Bahn" geraten ist. Am Sonntag feierte im Theater am Schlachthof ein sehr nachdenklich stimmendes Stück für Jugendliche Premiere: "Haram" des niederländischen Autors Ad de Bont handelt von Heimat und Verpflanzung, von Freiheit und Familie, von großen Entscheidungen und großer Verzweiflung.

Die drei Kinder Houari, Aziza und Said sind marokkanischer Herkunft, jedoch in Holland aufgewachsen. Holland ist ihre Heimat, dort haben sie ihre Freunde, ihre sozialen Wurzeln. Dann entscheidet beim Urlaub in Marokko plötzlich ihr Vater, dass sie nicht zurückkehren werden. Um Gehorsam zu lernen. Um nicht auf die "schiefe Bahn" zu kommen. Werte und Lebensentwürfe prallen aufeinander, und für die Kinder gibt es kaum eine schrecklichere Vorstellung, als nicht nach Holland zurückkehren zu dürfen. Insbesondere Aziza fürchtet sich vor einem Leben voller Zwänge und Einschränkungen — sie beschließt, gemeinsam mit ihrem Bruder Houari zu fliehen.

Janina Burgmer, Halil Yavuz und Jürgen Knittl verkörpern mit Verve und Engagement die drei jungen Kämpfer, deren genetischer Ursprung marokkanisch ist, die sich jedoch im modernen Europa zuhause fühlen. Unter der Regie von Remo Hofer gelingt es den drei Schauspielern, zwei Zeitebenen und acht Personen miteinander zu verknüpfen, ohne dass jemals Verwirrung aufkommt. Geschickt bilden Burgmer, Yavuz und Knittl als erwachsene, rückblickende Erzähler Brücken zwischen den einzelnen Szenen.

Während Bugmer und Yavuz sich mit ansteckender Ernsthaftigkeit dem Thema nähern, übernimmt Knittl mit immer wieder hervorbrechendem sympathischem Alpendialekt den Part als witzig-unbekümmertes Nesthäkchen, wobei die Albernheiten zuweilen überzogen und dadurch fast befremdlich werden. Vor allem Yavuz gelingt auf unverkrampfte Weise die Darstellung eines lebhaften, leidenschaftlichen 13-jährigen Jungen, so dass die Zuschauer seinen erwachsenen Körper zwischenzeitlich beinahe ausblenden können.

Was ist wichtiger: Freiheit oder Familie? Wie will ich leben, wie kann ich leben? Was bedeutet die Kultur eines Landes für mich als einzelnen Bewohner? Warum haben Mädchen in vielen Kulturen andere Rechte als Jungen? Wie sehr bin ich als Kind abhängig vom Willen meiner Eltern? In dem kleinen, aber intensiven Kammerstück, das fast ohne Bühnenrequisiten auskommt und somit angenehm viel Raum für Phantasien lässt, werden viele existenzielle Fragen aufgeworfen. Es eignet sich zweifelsfrei hervorragend als Diskussionsgrundlage für den Unterricht, insbesondere, da keine definitiven Antworten gegeben werden.

(NGZ/rl)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort