Beinahe-Katastrophe: Gefahrgut-Transporter drohte zu explodieren Crash mit 18.800 Kilogramm Gas im Tank

Nordstadt. Mit 18.800 Kilogramm hochexplosivem Ethylen im Tank in einen schweren Auffahrunfall verwickelt zu sein, der Albtraum für jeden Lastkraftfahrer. Für Vitor Manuel Guerreiro Batista aus der Neusser Nordstadt wurde dieser Albtraum Wirklichkeit. 13. Juni, 8.20 Uhr auf der Autobahn 1, kurz vor dem Westhofener Kreuz bei Schwerte: Batista - auf dem Weg von der Erdölchemie in Dormagen nach Bergkamen - stoppt am Ende eines Staus und schaltet die Warnblinkanlage ein.

Nordstadt. Mit 18.800 Kilogramm hochexplosivem Ethylen im Tank in einen schweren Auffahrunfall verwickelt zu sein, der Albtraum für jeden Lastkraftfahrer. Für Vitor Manuel Guerreiro Batista aus der Neusser Nordstadt wurde dieser Albtraum Wirklichkeit. 13. Juni, 8.20 Uhr auf der Autobahn 1, kurz vor dem Westhofener Kreuz bei Schwerte: Batista - auf dem Weg von der Erdölchemie in Dormagen nach Bergkamen - stoppt am Ende eines Staus und schaltet die Warnblinkanlage ein.

Ein schwarzer Personenwagen hält hinter ihm. Sekunden später schaut der Fahrer der Spedition Janssen in den Rückspiegel und bemerkt einen orangen Lastwagen, der ohne das Tempo zu drosseln auf den Stau zu fährt. Es knallt: Der Lastwagen zermalmt das schwarze Auto, das quer über die Fahrbahn geschleudert wird, und bohrt sich dann in das Heck des Gefahrguttransporters aus Dormagen. Batista, Kraftfahrer mit Spezialausbildung für Gefahrguttransporte, greift sofort zum Telefon und alarmiert die Polizei.

Die Beamten sollen die Autobahn in beiden Richtungen sperren und die Menschen im Umkreis der Unglücksstelle in Sicherheit bringen, denn der Spezialtank hat ein Leck. Ethylen-Gas strömt aus. "Wenn sich das entzündet, gibt es einen Feuerball von 800 Meter Durchmesser und eine Druckwelle, die noch in 2,5 Kilometer Entfernung zu spüren ist", Batista geht von Auto zu Auto und versucht, die Insassen zu warnen.

Doch die weigern sich, ihre Wagen zu verlassen: "Wir können doch unser Auto nicht auf der Autobahn stehen lassen." Da hilft auch der Hinweis auf das aus dem zerstörten Tanklastzug austretende und sich auf dem Boden ausbreitende Gas nicht. Doch auch die Polizei reagiert nicht so schnell, wie Batista es erwartet hätte: "Statt sofort die Autobahn zu sperren, haben die Polizisten sich erst einmal für meine Papiere interessiert." Dabei ist der Tankzug vorschriftsmäßig mit Warnschildern ausgestattet und schon an der auffälligen schwarz-gelben Lackierung als Gefahrguttransporter mit feuergefährlichem Inhalt zu erkennen.

Batista ruft seinen Chef an, der alarmiert die Werksfeuerwehr von Bayer Dormagen, die den Lastkraftfahrer auf seinem Handy kontaktiert. "Ich habe dem Polizist das Telefon in die Hand gedrückt. Im Verlauf des Gespräches wurde der Mann blass", erinnert sich Batista. Nach dem Telefonat geht alles ganz schnell: Die Autobahn wird gesperrt, Verletzte werden geborgen, ein Hubschrauber steigt auf, Lautsprecherdurchsagen fordern die Autofahrer auf, ihre Fahrzeuge zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen.

Der Verkehr rund um das Autobahnkreuz bricht zusammen. Im Schwerter Stadtteil Westhofen werden rund 1.500 Menschen aus ihren Häusern evakuiert und in sicherer Entfernung in Turnhallen und anderen Notquartieren untergebracht. In den Haushalten in der Nähe der Unfallstelle müssen alle Stromquellen ausgeschaltet werden. Notarzt Dr. Roland Langner bringt die Befürchtung nach der Beinahe-Katastrophe auf den Punkt: "Ein Funken, dann wäre die Bombe da."

Rund um die verkeilten Lastwagen legt die Feuerwehr einen Schaumteppich, um ein Entzünden der gefährlichen Fracht zu verhindern. Vitor Manuel Batista liegt derweil im Rettungswagen. Er hat Gas eingeatmet, bekommt Sauerstoff, ein EKG wird abgenommen, eine Infusion gelegt. Da hört der Portugiese, der seit Jahrzehnten in Neuss zu Hause ist, ein kreischendes Geräusch: Ein Feuerwehrmann will mit einer Schleifhexe eine Leitplanke durchtrennen. Funken sprühen in hohem Bogen. "Da habe ich richtig Angst bekommen und gedacht, jetzt ist es vorbei", erinnert sich der Lastwagenfahrer, der später in ein Krankenhaus eingeliefert wird, in dem er eine Woche bleiben sollte.

Erst als Batista erneut auf die Gefahren hinweist, wird der Funkenflug gestoppt. Später wird das beim Transport tiefgekühlte und deshalb flüssige Gas teils kontrolliert abgefackelt, teils abgepumpt. Auch die Werksfeuerwehr aus Dormagen ist inzwischen am Unglücksort eingetroffen. Am Nachmittag, Stunden nach dem Unfall, ist die Lage unter Kontrolle, die Aufräumarbeiten dauern bis zum späten Abend. Erst zu diesem Zeitpunkt wird deutlich, wie knapp Westhofen an einer Explosionskatastrophe vorbei gekommen ist: "Neben der Autobahn befindet sich ein Friedhof, auf dem viele rote Grablichter brennen", sagt der 38 Jahre alte Kraftfahrer aus Neuss.

Für ihn ist es fast ein Wunder, dass sein Tankzug nicht explodiert ist. Inzwischen ist Batista wieder unterwegs - mit einer neuen Zugmaschine, denn das Führerhaus seiner alten hing nach dem Unfall "nur noch an einer Schraube". Als es bei der ersten Tour wieder an der Unfallstelle vorbei ging, wurde ihm "etwa mulmig", doch inzwischen hat er den Unfall "verdaut". Dabei ärgert er sich über "rücksichtslose Lastwagenfahrer genauso wie über rücksichtslose Pkw-Fahrer". Am schlimmsten ist es oft im Stau - und das nicht nur wegen der Gefahr eines Auffahrunfalls: "Es gibt immer wieder Verrückte, die trotz aller Warnschilder Zigarettenkippen unter den Tanklastzug werfen." Frank Kirschstein

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