Neuss "CDU muss ein Unikat werden"

Neuss · Bürgermeister Herbert Napp fordert, dass Bürger sich einmischen – und warnt zugleich davor. Im Interview spricht er über ungerechte Proteste, die Angst vor Lobby-Demokratie und die Lage der Neusser CDU.

Bürgermeister Herbert Napp fordert, dass Bürger sich einmischen — und warnt zugleich davor. Im Interview spricht er über ungerechte Proteste, die Angst vor Lobby-Demokratie und die Lage der Neusser CDU.

Herr Bürgermeister, Sie ärgern sich sichtlich über die Proteste, die sich gegen eine Bebauung an der Schule St. Konrad in Gnadental wenden. Was ärgert Sie derart offenkundig?

Herbert Napp Im konkreten Fall empfinde ich die Proteste als ungerecht. Keiner will in Gnadental auf Schulgelände bauen. Die Überlegungen richten sich auf ein Nachbargrundstück, dass bisher lediglich von der Schule genutzt wird. Aber das ist nicht der Kern meines Ärgers.

Warum geht es denn?

Napp Ich sehe mit Sorge, dass wir uns zunehmend auf eine Interessen- und Lobby-Demokratie zu bewegen, in der nicht mehr die Entscheidung am Gemeinwohl ausgerichtet werden. Es gilt der alte Spruch: Wenn jeder an sich denkt, dann ist an alle gedacht. Mit dieser egoistischen Denkweise werden wir scheitern.

Was ist so schrecklich daran, wenn sich Bürger einmischen? Sie waren doch bisher immer ein Mann, der eine stärkere Bürgerbeteiligung forderte. Haben Sie Ihre Meinung geändert?

Napp Keineswegs. Rat und Verwaltung müssen den Bürgern erklären, warum sie eine Entscheidung favorisieren und durchsetzen wollen. Ehrliche Argumente und ein transparentes Verfahren helfen, die Menschen zu überzeugen. Dazu gehört auch, dass wir Fragen, Bedenken und Anregungen aus der Bürgerschaft ernst nehmen. Das soll auch so bleiben, besser noch, das sollte verstärkt werden...

... aber?

Napp Zunehmend bemerke ich, dass sich nur noch die direkt Betroffenen zu Wort melden. Zum Beispiel die Anwohner. Wenn — wie jetzt in Gnadental geschehen — Projekte abgelehnt werden, weil Nachbarn für eine gewisse Zeit Baulärm ertragen müssen, dann habe ich dafür kein Verständnis. Werden diese Auffassungen Standard, ist jede Bautätigkeit und somit jede Form von Stadtentwicklung tot. Soweit wird es auch nicht kommen. Das verspreche ich Ihnen.

Was heißt das für den Rat und die Parteien?

Napp Politik bedeutet, Prioritäten zu setzen. Der Rat muss Sachverhalte erkennen, Perspektiven entwickeln, sie diskutieren und auf ihre finanzielle Machbarkeit prüfen, um dann zu entscheiden. Politik muss es nicht jedem Recht machen. Das geht auch nicht. Wer Verantwortung bei Wahlen übernimmt, der muss sie auch wahrnehmen, in dem er entscheidet. Nach fünf Jahren müssen die Stadtverordnete, Fraktionen und Parteien Rechenschaft vor den Bürgern ablegen, die dann einen neuen Rat wählen.

Im Klartext lautet Ihr Vorwurf also: Politik ist auf die populäre Entscheidung aus und verliert dabei die richtige Entscheidung aus den Augen.

Napp Ja, so meine ich das.

Gilt das auch für Ihre Partei, die CDU?

Napp Ich sehe mit Sorge, dass sich die Neusser CDU im zunehmenden Maße als Partei zu sehr über ihre Einzelentscheidungen definiert. Das ist ein Irrweg, weil sie so unweigerlich ihr Profil als grundsatztreuer, zielorientierter Meinungsführer verlieren wird. Vielleicht schon verloren hat. Umgekehrt ist es richtig: Die Neusser CDU muss wieder als unverwechselbares Unikat erkennbar werden und ihre Politik, ihre Entscheidungen an diesen Überzeugungen ausrichten. Grundsatztreue und Zielorientiertheit in diesem Sinne ist die beste Antwort auf Interessen- und Lobby-Demokratie — in Gnadental und anderswo.

Ludger Baten führte das Gespräch.

(NGZ)
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