Migranten beim Neusser Schützenfest Wieso sich Schützen und Muslime weiter schwer miteinander tun

Neuss · Im März zählte die Stadt 158.206 Neusser, davon 23.805 ohne deutschen Pass. Migranten stellen rund 15 Prozent der Bevölkerung, doch am Schützenfest - der größten Veranstaltung der Stadt - haben sie nur wenig Anteil. Warum eigentlich?

Wenn am Wochenende wieder über 5750 Schützen (plus rund 2000 Musiker) durch die Stadt ziehen, marschiert ein Stück Türkei immer mit. Denn ein Großteil der Accessoires an der Schützenuniform wird im Geburtsland von Regimentsschneider Mustafa Tezgör hergestellt. "Das wäre hier ansonsten zu teuer", sagt der 54-Jährige mit Blick auf Zylinder aus Seide, Handschuhe und vor allem die unterschiedlichen Korpsabzeichen.

Tezgör selbst hingegen ist eine Rarität. Als solche jedenfalls bezeichnet Waltraud Beyen jene Migranten, die sich im Neusser Schützenwesen engagieren. Die Vorsitzende des Bundes Muslimischer Vereine in Neuss sagt: "Der Austausch untereinander findet kaum statt, das ist enttäuschend." So habe man schon mehrmals Schützenvertreter zu Veranstaltungen eingeladen, jedoch stets Absagen erhalten.

Schützen-Präsident Nickel weist Kritik zurück

Dem widerspricht Thomas Nickel, Präsident des Neusser Bürger-Schützen-Vereins und Organisator des größten Schützenfests im Rheinland: "Wir sind im stetigen Austausch. Mehr kann man überhaupt nicht tun." In den 17 Jahren seiner Präsidentschaft machte er das Thema "Migranten im Schützenverein" mehrfach zur Chefsache. Als im Sommer 2014 ein westfälischer Schützenverein einen muslimischen Schützenkönig ablehnte, äußerte er sich deutlich: "Im Neusser Bürger-Schützen-Verein könnte so etwas nicht passieren. Bei uns darf jeder mitwirken, der unsere christlichen Wertvorstellungen mitträgt."

Ein Abbild der Stadtgesellschaft entsteht bei den Umzügen zum Schützenfest dennoch nicht, wie ein kleines Rechenspiel belegt: In Neuss leben laut jüngsten Zahlen des Statistikamts 77.252 Männer, davon sind 13.241 Migranten - über 17 Prozent. Um auf einen ähnlichen Prozentsatz zu kommen, müssten unter den Schützen beim diesjährigen Schützenfest rund 1000 von ihnen keinen deutschen Pass haben. Wie viele es hingegen wirklich sind, wird nicht erfasst - weder vom Bürger-Schützen-Verein noch von den Korps. "Weniger", ist sich Nickel jedoch sicher, verweist aber auch auf Schützen aus 15 Nationen. "Von daher kann ich den Vorwurf, wir seien nicht bunt gemischt, nicht verstehen", sagt er.

Integrationsrat will mehr Austausch mit Neusser Schützen

Der Präsident des größten Neusser Schützenvereins weiß aber auch, dass sich gerade der große Teil der Muslime unter den Neusser Migranten schwer tut mit den Schützen. "Es gibt eine größere Zurückhaltung als bei anderen Zugezogenen" sagt er. Wieso, dass wisse er auch nicht. Dabei könnte eine Integration der größten nicht-christlichen Glaubensgruppe ins gesellschaftlich so relevante und traditionsreiche Volksfest doch für beide Seiten von Vorteil sein.

Ozan Erdoğan, der Vorsitzende des Integrationsrats, versucht es so zu erklären: "Das Schützenwesen ist schon etwas Besonderes, da einen Bezug zu bekommen, ist nicht so leicht und es kostet ja auch einiges." Allein die Uniform kostet bis zu 480 Euro. Hinzu komme, dass der Islam Alkohol verbietet. Und so seien zwar viele Muslime als Zuschauer der Umzügen oder Besucher der Kirmes bei den Festlichkeiten dabei, aktiv mitlaufen werden aber auch dieses Jahr nur wenige. Zumal der Schützenverein beispielsweise rein türkische Schützenzüge ablehnt. "Das macht doch auch aus Integrationssicht keinen Sinn", sagt Nickel.

Wie es auch geht, beweist Moaaz Salama (27). Der syrische Flüchtling kam 2015 nach Neuss, vergangenes Jahr schloss er sich dem Schützenlust-Zug "Nordlichter" an und feierte sein erstes Schützenfest. Auf Alkohol verzichtete der gläubige Muslim dabei, zog ansonsten aber voll mit. "Mittlerweile haben wir auch seinen Bruder Homam aufgenommen", sagt Patrick Arnold, Leutnant der Nordlichter. Der Schüler des Quirinus Gymnasiums wird am Samstagabend die Vorfackel des Zuges ziehen.

Überhaupt seien viele Schützenvereine bei der Integration von Flüchtlingen "sehr aktiv", bescheinigt Integrationsrat-Chef Erdoğan. Er fordert aber auch: "Es muss noch mehr Austausch mit den Vereinen und Organisationen für Migranten stattfinden." Denn er ist sich sicher: "Es gibt Berührungspunkte, die muss man weiter ausbauen." Und so will auch Waltraud Beyen im Bund der muslimischen Vereine einen neuen Anlauf wagen: "Wir werden das Thema nach dem Schützenfest nochmal auf die Tagesordnung stellen."

(cbo)
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