Neusser Kirmes Der Sound des Rummelplatzes

Neuss · Der Sound der Kirmes besteht aus vielen Geräuschen. Es klingelt, kiekst und kläfft, pfeift, gluckst und plätschert.

 Kreischen, lachen, stöhnen – kaum eine Karussellfahrt löst nicht ein buntes Gemisch an Geräuschen aus.

Kreischen, lachen, stöhnen – kaum eine Karussellfahrt löst nicht ein buntes Gemisch an Geräuschen aus.

Foto: Lothar Berns

Jeder Mensch, der auch nur einmal einen Rummelplatz besucht hat, würde diese Geräuschkulisse sofort wiedererkennen: Mögen einzelne Klänge auch in anderen Zusammenhängen vorkommen – diese einzigartige Melange aus von Menschen verursachten Tönen kann unmittelbar zugeordnet werden. Wer in Hörweite eines Kirmesplatzes wohnt, mag es etwas anders sehen als der legendäre Franz-Josef Strauß, der Kirmesgeräusche nicht als Lärm, sondern als Ausdruck von Lebensfreude bezeichnete. Für viele andere aber markiert das Klangspektakel vor allem eines: die schönsten Tage im Jahr.

Was für eine lebensfrohe, überbordende Geräuschkulisse! Je weiter es ins Gewusel geht, desto mehr verklingt die Marschmusik der Blaskapelle und wird zunehmend von der Schlagermusik-Beschallung aus den Lautsprechern der Getränkebuden mit dumpfen Bässen und klopfenden Rhythmen abgelöst.

Gluckernd fließt Bier aus einem Zapfhahn – dass ein Geräusch so durstig machen kann… –, gefüllte Gläser klingen hell beim Anstoßen, Gelächter brandet auf und ebbt wieder ab. Einige Meter weiter ist das silbrige Klirren von Besteckteilen und das Geklapper von Kaffeetassen zu hören. Mandeln werden mit einer Abwiegeschaufel in ein knisterndes Cellophantütchen gefüllt, das geräuschvoll verschlossen wird.

Neuss Schützenfest - Programm 2022: Die Termine in der Übersicht
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Alle Termine rund um das Neusser Schützenfest 2022

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Foto: Endermann, Andreas (end)

Über dem gleichbleibenden Rollgeräusch aus Richtung Kinderkarussell erhebt sich der spröde Ton eines harten Aufpralls, gefolgt von heftigem Scheppern: eindeutig Dosenwerfen! Auch das knacksende „Plöpp“ der Gewehre am Schießstand, das Auftreffen der Geschosse und Zersplittern der Röhrchen ist problemlos zu identifizieren.

Schausteller - von gelangweilt bis nervtötend

Die Marschordnung beim Neusser Schützenfest 2019
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Die Marschordnung beim Neusser Schützenfest 2019

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Foto: Endermann, Andreas (end)

„Dabeisein biddde! Einsteigen biddde!“ – „Wollt Ihr noch eine Runde?“ – „30 Lose heute für nur fünf Euro“, preisen die Schausteller, teils routiniert-gelangweilt, teils nervtötend gut gelaunt ihre Fahrgeschäfte und Buden an. Richtig viel Einsatz zeigt da der Marktschreier vor seinem Verkaufswagen voller Obst. Potenzielle Kunden bleiben nicht nur stehen, weil sie auf eine gut gefüllte Einkaufstüte für wenig Geld hoffen, sondern weil das Feilbieten der Ware mit lauter Stimme schon die halbe Attraktion ist. Und Bananen-Fred enttäuscht sein Publikum nicht: „Einmal Cherry-Strauchtomaten. Und Ihr bekommt von mir kernlose königsblaue Trauben, fast so dick wie Pflaumen“, singt er mit deutlich angeschlagener Stimme, die nach einem Hals-Nasen-Ohrenarzt zu verlangen scheint.

Buggy-Räder knirschen vorbei, ein batteriebetriebener Dackel stößt unablässig ein merkwürdig quietschendes Kläffen aus, im Hintergrund rührt eine Slushi-Maschine in Halbgefrorenem. Vom „Hau den Lukas“, wo sich vor allem Jungs, junge und nicht mehr ganz so junge Männer voreinander beweisen müssen, ertönt ein Hammerschlag, gefolgt von einem Zischgeräusch, als der Zeiger die Anzeigesäule emporsaust. Dann ein langgezogenes „Ooooh“. „Da fehlte nicht mehr viel.“ „Versuch‘ nochmal!“, kommentieren die Umstehenden. Erneuter Hammerschlag, erneutes Zischen, dann… ein Klingeln. „Super!“ „Alles klar, leg den Hammer wieder hin.“

Deutlich zurückhaltender sind die Geräusche, die von einem anderen Spielbetrieb ausgehen: Beim Bulldozer kullern die Spielmünzen durch den Zieleinwurf, wackeln dann noch eine Zeitlang, bevor sie liegenbleiben. Als die Schaufel des Gefährts die Münzen zusammenschiebt, fällt eine Metallscheibe in den Mittelschacht und das Gerät spuckt einen Gewinnchip aus. Da muss schon genau hinhören, wer das mitkriegen will. Das akustische Kontrastprogramm wartet nur wenige Schritte weiter: Hochfrequentes Kreischen entweicht mehr als einem Dutzend Mädchenkehlen, als auf dem Voodoo-Jumper auch noch Wasser zum Einsatz kommt. Beim Apollo-13-Turm steigt und senkt sich der organische Lärm-Pegel parallel zu jeder Umdrehung. Vom Dschungelexpress schräg gegenüber lösen sich vereinzelt Kiekser oder auch mal Pfiffe. „Eieieieiei, ist das schön“, kommt eine professionell begeisterte Stimme mit verzerrtem Hall durchs Mikrofon, „wie sieht es aus: Wollt Ihr noch ‘ne Zugabe?“ Vielstimmiges „Ja“ antwortet überzeugend.

99 Fackeln leuchten in der Stadt
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99 Fackeln leuchten in der Stadt

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Foto: woi

„Von der Fahrbahn bitte zurücktreten“, mahnt ein anderer Unsichtbarer am nächsten Karussell. Mehrfaches Hupen, dann die Aufforderung: „Achten Sie bitte auf Ihre Kinder!“ Rund und rund geht es in den kleinen Flugzeugen. Ein kleiner Pilot hat offenbar mehr Freude an seiner neuen Trillerpfeife, in die er unablässig kräftig hineinbläst. „Alles gut?“, ruft eine besorgte Mutter zu ihrem Nachwuchs und gibt sogleich Anweisungen: „Mach doch mal den Hebel! – Ja, siehst Du?“

Auf der Kirmes werden viele Sprachen gesprochen

Schnelle Rhythmen und dröhnende Bässe fahren ins Zwerchfell, unverständliches Gemurmel bildet einen Klangteppich, aus dem nur einige Dialog-Fetzen ans Ohr dringen - in Deutsch oder Türkisch, Niederländisch oder Arabisch. Aus dem Walkie-Talkie eines Rettungssanitäters schnarren unverständliche Sprachbrocken. Das Weinen eines Babies im Kinderwagen schwillt mit dem Näherkommen stufenlos an und wird nach dem Vorbeigehen mit zunehmendem Abstand wieder leiser.

Ein Handy klingelt. „Sie! Ja, genau Sie! Haben Sie Lust auf einen Cocktail?“ fragt eine Lautsprecherbox. „Liebe Besucher, kommen Sie näher, zögern Sie nicht! So etwas Einzigartiges, Atemberaubendes werden Sie nirgendwo anders erleben!“, wirbt eine Stimme ohne Körper kurz dahinter. Plötzlich klingt es sehr nah: „Möchtest Du mal beißen?“ Doch gemeint ist der junge Mann, dem die Freundin eine heiße Bratwurst im Brötchen verlockend unter die Nase hält. Das kleine Kirmesglück.

Durch die lautstarke Polyphonie kämpft sich das Geräusch von plätscherndem Wasser: „Splash“ heißt der vielleicht knietiefe Pool, auf dem kleine und größere Menschen in überdimensionalen Plastikbällen übers Wasser laufen. Deutlich Druck ist auf dem Wasserstrahl aus der „Feuerwehrspritze“ eines Spielgeschäftes. Ein erschrockenes „Hu“ entfährt einer alten Dame, die offenbar ihren Enkel begleitet, als sie in das hervorschießende Nass greift und das kräftig auseinanderspritzt.

Was ist das? Ganz klar: harte, rollende Kugeln, die in eine Vertiefung fallen. „Und die Vier macht das Rennen hier“, verkündet eine Frauenstimme. Der glückliche Sieger entscheidet sich für ein Plüsch-Schaf mit Herz, und dann geht’s auch schon weiter: „Neue Runde – ran an die Kamele!“

Jazzige Melodiebögen gehen in südamerikanische Tanzmusik über, dazwischen das Bimmeln eines Kinderfahrgeschäftes. „Am Ausgang links.“ „Ketchup oder Mayo?“ „Die nächste Runde übernehme ich aber – Prost!“ „Hände hoch, wenn Ihr noch einmal wollt.“ „Ich glaube, es hat Euch gefallen.“ Hat es! Aber später die Ruhe zu Hause ist dann doch wieder ganz schön…

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