Kein Schützenfestwochenende in Neuss Die Rollmopsallee bleibt leer

Neuss · Kirmes und Schützenfest verwandeln die Hammer Landstraße in eine Rollmopsallee. Autohändler schließen, Zulieferer müssen Umwege fahren. In diesem Corona-Jahr herrscht freie Fahrt, doch die Unternehmer jubilieren nicht: „Wir alle sind Schützenfest!“

Keine Schützen, keine Musiker, keine Bummler – die Hammer Landstraße bleibt in diesem Jahr für Autos frei.

Keine Schützen, keine Musiker, keine Bummler – die Hammer Landstraße bleibt in diesem Jahr für Autos frei.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Hammer Landstraße 17. Dort, mitten an der Rollmopsallee, die Kirmesplatz auf dem TÜV-Gelände und Innenstadt verbindet, eröffnete das Autohaus Timmermanns 1999 seinen Neusser Standort. Seither gab’s einen festen Termin für „Betriebsferien“: Immer am letzten Wochenende im August, von Freitag bis Dienstag, hatte die Filiale geschlossen. In diesem Jahr erstmals nicht. Die Corona-Pandemie macht es möglich. Da das gefährliche Virus die Absage des Schützenfestes erzwingt, können gewerbliche Anrainer von Kirmes und Festwiese in diesem Jahr ungestört ihren Geschäften nachgehen. Mehr Öffnungszeiten statt Lockdown – in diesem Corona-Jahr muss auch Logik neu gelernt werden.

Geschäftsführer Thomas Timmermanns nimmt die zusätzlichen Geschäftstage Ende August gern mit, aber er jubelt nicht. „Als wir uns für den Standort entschieden, wussten wir, was auf uns zu kommt“, sagt der Hausherr, „es war Bedingung, dass wir die Einschränkungen durch das Schützenfest akzeptieren.“ Das sei ihm nicht schwer gefallen, denn er unterstütze gern soziale Aktivitäten, die wichtig für die Gesellschaft seien. Mehr noch. Seit vielen Jahren ist das Autohaus Timmermanns Gastgeber eines Schützenbiwaks. Das muss in diesem Jahr ausfallen, wird aber im nächsten Jahr wieder stattfinden – „wenn es Corona zu lässt“.

In Timmersmanns Tenor stimmt auch Folke Heyer ein. Der Sprecher der Rheinmetall Automotive AG, zu der auch Pierburg gehört, sieht zwar Erleichterungen in den Betriebsabläufen, die das abgesagte Schützenfest dem Werk auf Spitze der Hafenmole I beschert, aber Freude kommt bei ihm nicht auf: „Es ist schade, dass das Schützenfest ausfällt.“ Das Unternehmen Pierburg, das mit den Managern Olaf Hedden (2016) und Rene Gansauge (2019) jüngst zwei Ehrengäste stellte, sei über die Absage betrübt; ebenso viele Mitarbeiter, die in und ohne Uniform gern mitfeiern. Gleichwohl sei der Verzicht auf die Großveranstaltung richtig, um die Bevölkerung zu schützen.

Die Produktion läuft im Pierburg-Werk unter „leichten Beeinträchtigungen“ auch an Schützenfest-Tagen weiter. So seien Zu- und Auslieferungen mit dem Lkw nur in den frühen Morgenstunden möglich: „Das erfordert eine präzise Absprache mit Kunden und Transportunternehmen.“ Damit habe sich Pierburg aber arrangiert: „Wir wussten, was auf uns zu kommt, als wir uns entschieden haben, auf die Hafenmole I zu gehen.“

Diese unaufgeregte Sichtweise der Unternehmen teilt J.-Andreas Werhahn, Vorsitzender des Neusser Produktenmarktes, eines freiwilligen Zusammenschlusses von rund 30 Unternehmen, von denen viele ihren Sitz im Hafen haben. Wenn Schützenfest und Kirmes in unmittelbarer Nähe des Industrie- und Handelshafens gefeiert würden, könne das nicht ohne Auswirkungen auf die Betriebe bleiben. Aber, so Werhahn, die Probleme seien eingespielt: „Sie sind da, sind akzeptiert und sie sind lösbar.“ Für diese pragmatische Vorgehensweise ist Schützenpräsident Martin Flecken dankbar: „Es tut gut, dass die Unternehmen die Einschränkungen und Mühen ohne Murren ertragen.“

Schausteller und Gastronomen verwandeln die Hammer Landstraße zwischen Hessentorbrücke und Dehoga-Gebäude an den Schützenfest-Tagen in die berühmte Rollmopsallee, wo sich Tausende Besucher von Freitag bis in die Nacht zum darauffolgenden Mittwoch vergnügen. Von der Sperrung sind alle Gewerbebetriebe auf diesem Abschnitt der Hammer Landstraße betroffen; ebenso die Unternehmen an der Industriestraße. Alle anderen Produktions- und Umschlagsstätten sind – wenn auch über Um- und Schleichwege – in dieser Zeit zu erreichen: Willy-Brandt-Ring, Floßhafenstraße, Danziger Straße und Hansastraße werden dabei zu „Hauptverkehrsadern“. Außerdem ist in einem Hafen mit fünf Becken die Anlieferung und Abfertigung über das Wasser ungestört möglich.

Von zwei Herzen, die zu diesem Thema in seiner Brust schlagen, berichtet Dominik Baum. Der Geschäftsführer der Ölmühle C. Thywissen an der Industriestraße spricht als Unternehmer von einem „kleinen Vorteil“, der sich durch die Schützenfest-Absage einstelle. Vermutlich sei es sogar kurzsichtig, von einem Vorteil zu sprechen: „Denn längerfristig betrachtet ist es auch für uns Unternehmer wichtig, in einer Stadt zu agieren, die attraktiv für Arbeitnehmer ist.“ Wenn sich also Neuss mit seinem Bürger-Schützenfest eine „einmalige Stellung“ aufgebaut habe, sei das „sehr zu befürworten und zu unterstützen“.

Als Neusser, der seit 40 Jahren aktiver Schütze ist, reiße der Ausfall des Schützenfestes ein „dickes Loch in meinen Kalender“. Auch seine Familie, für die das Fest ebenfalls fester Bestandteil des Sommers sei, bedaure den Ausfall sehr. Baums Großvater Hermann-Wilhelm Thywissen war Schützenpräsident. Baum hat die Mitarbeiter der Ölmühle in diesem Jahr am Schützenfest-Montag zu Pommes und Currywurst eingeladen; dazu wird die Fahne gehisst: „So bekommen wir ein klein wenig Schützenfest-Feeling auf die Industriestraße.“

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