Neusser Schützenfest Minister Gröhe wird Schütze Hermann

Neuss · Das Kabinettsmitglied aus Berlin ist am Wochenende beim Neusser Schützenfest einer von 7700 aktiven Marschierern.

 Ein Schütze unter vielen: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gehört zum Neusser Zug "Frischlinge" und verteilte beim Königsehrenabend von Gerd Philipp Sassenrath Orden.

Ein Schütze unter vielen: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gehört zum Neusser Zug "Frischlinge" und verteilte beim Königsehrenabend von Gerd Philipp Sassenrath Orden.

Foto: Woitschützke, Andreas

Hermann Gröhe steht dort, wo er als Bundesgesundheitsminister seinen Stammplatz hat: auf der Bühne. So auch bei den Neusser Schützen. Und doch ist vieles anders an diesem Königsehrenabend, mit dem sich die Neusser auf das eigentliche Fest einstimmen. Die Regie sieht für das Kabinettsmitglied aus Berlin nur eine namenlose Statistenrolle vor. Nicht einmal übers Mikrofon wird er begrüßt. Der Minister wird zum Diener, ganz im Sinne seines Amtes. Denn Minister kommt vom lateinischen ministrare und das bedeutet dienen.

Die Hauptrolle spielt ein anderer: Schützenkönig Gerd Philipp Sassenrath. Der machte seinen Zug "Frischlinge" mit seinem Volltreffer an der Vogelstange im Vorjahr zum Königszug. Ein König benötigt die Hilfe seiner Kameraden, gerade an seinem Ehrenabend. Da leistet Majestät Schwerstarbeit. Genau 1902 Schützen hängt er seinen Orden um, bewegt dabei in Summe 100 Kilogramm Metall. Zwei Stunden dauert der Verleihungsmarathon. Damit nicht noch mehr Zeit vergeht, reichen Zugkameraden dem König die Orden an. Jeweils zehn tragen sie im Gänsemarsch nach vorn. Dabei reiht sich auch Hermann Gröhe ein. Drei Stunden hat er da schon mit den Freunden hinter den Kulissen gewerkelt. 1902 Orden wollen sortiert sein, müssen ein Trageband erhalten. Chefs in Politik und Wirtschaft müssen delegieren können, Schützen dürfen das nicht. Handarbeit ist Ehrensache. Auch für Regierungsmitglieder.

"Die Uniform macht alle gleich", dozierte der verstorbene Schützenfest-Experte und ehemalige Neusser Museumsdirektor Max Tauch, "in Uniform kannst Du den Generaldirektor nicht von seinem Fahrer unterscheiden." Alle wissen das in Neuss. Alle machen klaglos mit - vielleicht gerade, weil es so ist. Beim Schützenfest in seiner Heimatstadt darf Minister Gröhe endlich einfach nur "Schütze Hermann" sein.

So wird es auch wieder am Wochenende sein, wenn knapp 7700 Schützen und Musiker die Stadt Neuss in ein Königreich für vier Tage verwandeln und parallel eine große Kirmes feiern. Über eine Million Zuschauer werden bis Dienstag wieder in der rheinischen Schützenhauptstadt erwartet, allein 100.000 Menschen werden es Samstagabend (ab 20.45 Uhr) beim Fackelzug in der Innenstadt sein.

Die große Königsparade am Sonntag (ab 10.15 Uhr) vor voll besetzten Tribünen auf dem Markt überträgt das WDR-Fernsehen live. Als Ehrengast wird US-Botschafter John B. Emerson erwartet. Zum Abschluss am Dienstag (18.15 Uhr) schießen die Schützen auf der Festwiese (Galopprennbahn) den Nachfolger von Schützenkönig Gerd Philipp I. aus. Der Zug ist seine Schützen-Heimat, ein starkes Stück seines sozialen Netzwerkes. Das ist bei den "Frischlingen" nicht anders als bei allen anderen der mehr als 300 Züge im Neusser Regiment. Diese 13 bis 25 Mann starken Gemeinschaften bilden die kleinsten Einheiten im Neusser Schützenwesen und sind zugleich dessen Keimzelle. "Die, die in Neuss leben, und die, die auswärts ihren Mittelpunkt haben - für alle ist der Schützenfest-Termin gesetzt. Das ist für uns ein Klassentreffen", sagt Gröhe.

"Wir stehen alle im Beruf unseren Mann", sagt Gregor Micus, "aber der Zug ist ein Refugium. Dort bin ich Mensch, nicht Amtsperson." Micus ist heute Beigeordneter für Bildung, Kultur und Jugend der Stadt Krefeld. Doch "Frischling" wird nicht, wer im öffentlichen Leben etwas darstellt, sondern wer zur Clique des Abitur-Jahrgangs 1979 gehörte - oder später bewies, dass er dazu passt. Das gilt auch für die Frauen. "Frischlinge besitzen einen familiären Herdentrieb", sagt Leopold Matzner. Er muss es wissen, denn er ist wie sein Bruder Thomas Metzgermeister. Er verweist auf 53 Zugkinder.

Jeder Zug besitzt seine unverwechselbare DNA. "Wir nehmen uns nicht so wichtig", sagt Hermann-Josef Baaken, Geschäftsführer des Deutschen Verbandes für Tiernahrung - und Metzger und Minister, Staatssekretär und Universitätsprofessor, Beigeordneter und Zahnarzt, Wirtschaftsanwalt und Gerichtspräsident widersprechen nicht. Selbst Majestät nicht. Denn auch der Neusser Schützen-Herrscher auf Zeit weiß: "Ohne Zug - kein König."

(-lue)
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