Königsparade Kommando: Hut ab!

Neuss · Die Neusser Scheibenschützen fallen bei der Königsparade schon deswegen auf, weil alle gleichzeitig den Hut ziehen. Aber was schön aussehen soll, muss vorher gut geprobt werden. Deswegen treffen sich die Schützen in leichtem Bieranzug, aber mit Schützenhut immer donnerstags vor der Parade zum gemeinsame Üben.

Königsparade: Kommando: Hut ab!
Foto: Lothar Berns

Es ist der Donnerstag vor Schützenfest. Ein Mitarbeiter eines Unternehmens an der Hellersbergstraße im Hammfeld beendet seinen Arbeitstag und geht zu seinem Auto mit Hamburger Kennzeichen. Dann macht er große Augen. Ungläubig blickt er sich mehrfach um, als würde er befürchten bei "Verstehen Sie Spaß?" gelandet zu sein.

Er sieht 130 erwachsene Männer, die in Alltagskleidung jedoch mit strammer Haltung und in Reih und Glied durch die Hellersbergstraße marschieren. Alle haben einen grünen Hut mit einer Spielhahnfeder auf dem Kopf. Ein Musikkorps begleitet die ungewöhnliche Prozession. Immer wieder ziehen diese 130 Männer synchron den Hut vom Kopf, gehen ein Stück und setzen ihn dann wieder auf. Dabei laufen sie die Hellersbergstraße sicher zehn Mal rauf und runter.

Außer dem Mitarbeiter, der wohl offensichtlich nicht aus Neuss kommt, gibt es keine Zuschauer. Der Mann setzt sich, immer noch verdattert, in sein Auto und fährt weg, noch bevor man ihn überhaupt ansprechen kann.

Das beobachtete Schauspiel ist die Generalprobe der Neusser Scheibenschützen für das Schützenfest. Hans-Peter Zils, Major der Scheibenschützen, gesteht: "Wenn ich das nicht kennen würde, würde ich vermutlich auch denken: ,Die spinnen, die Neusser'", sagt Zils und lacht. Sicher ist dieser Umzug eine kuriose Geschichte, aber eben auch eine einleuchtende. Wenn man sich näher mit den Neusser Scheibenschützen beschäftigt.

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Es ist das älteste Korps beim Neusser Schützenfest. In diesem Jahr werden die Scheibenschützen 600 Jahre alt und stellen mit Markus I. Reipen den Schützenkönig. Das Korps geht zurück auf die Scheibenschützen-Gesellschaft, die aus der 1415 gegründeten St.-Sebastianus-Bruderschaft hervorging. Eine Urkunde die das belegt, hütet Stadtarchivar Jens Metzdorf für die Scheibenschützen.

In ihrer heutigen Form gibt es die Scheibenschützen seit 1920. Damals gründeten 19 Neusser den bis heute existierenden Zug - das Korps besteht nur aus einem Schützenzug. Das unterscheidet die Scheibenschützen von anderen Korps. Und es macht sie zum größten Schützenzug beim Neusser Schützenfest. Zugleich geht es bei den 130 aktiven Mitgliedern dadurch auch sehr familiär zu.

Eine weitere Besonderheit ist die bürgerliche Kleidung: Schwarze Hose, dunkelgrauer Anzug mit grünem Kragen, weiße Handschuhe. Keine militärisch anmutende Uniform, keine Holzgewehre und als logische Folge: kein militärischer Gruß bei der Königsparade. Stattdessen nehmen die Scheibenschützen vor dem König zur Ehrerbietung absolut synchron den Hut vom Kopf. Bei rund 130 Schützen ist das - wie man sich leicht vorstellen kann - eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.

Deshalb wird es geübt. Immer Donnerstag vor der Parade. Da treffen sich die Neusser Scheibenschützen zu ihrem Löhnungsappell im Saal neben ihrem Schießstand. Die Vorfreude ist dort schon zu spüren. Gemeinsam singen die Scheibenschützen den Schützenklassiker "Wenn die Ernte ist vorüber". Dann geht es gemeinsam in Richtung Hellersbergstraße.

Major Hans-Peter Zils erklärt seinen Jungs nochmal den Ablauf. Zils wird bei der Parade sein Korps anführen. Kurz bevor die Scheibenschützen auf Höhe des Königs sind, wird er den rechten Arm heben, um ihn zehn Schritte später wieder runter zu nehmen. In dem Moment werden die Scheibenschützen ihre Hüte synchron mit der linken Hand vom Kopf nehmen und ihn zum Gruß auf Augenhöhe halten. Dabei wird er leicht abgeklappt gehalten, damit die Hutinnenseite mit eventuellen Schweißrändern nicht zu sehen ist.

Kurz bevor alle Schützen am König vorbei gezogen sind, wird Hans-Peter Zils wieder den rechten Arm heben, ihn abermals zehn Schritte später wieder herunterlassen, woraufhin die Hüte synchron wieder aufgesetzt werden. "Es klingt vielleicht blöd, aber gleichzeitig den richtigen Zeitpunkt abzupassen, Schritte zu zählen, Zeichen zu geben und eine gute Synchronizität hinzubekommen, erfordert schon Übung und Konzentration", sagt Zils.

Daher laufen die Scheibenschützen die Hellersbergstraße mehrfach hoch und runter. Arm rauf. Arm runter. Hut ab. Arm rauf. Arm runter. Hut auf. Und wieder von vorn. Hauptmann Christian Schwarzfeller geht nebenher und korrigiert kleinere Fehler. Damit das Signal von Zils nicht übersehen wird, geben mehrere vorher festgelegte Scheibenschützen das Signal an die anderen weiter. Es wird geübt, bis Schwarzfeller und Zils mit dem Ergebnis zufrieden sind.

"Die Übung ist auch für mich persönlich wichtig", gesteht Zils. Schließlich lastet auf ihm auch die Verantwortung für den richtigen Zeitpunkt: Wenn alles perfekt läuft, werden die Hüte kurz vor der Spitze der Edelknaben gezogen. "Meistens klappt es bei der Parade sogar noch besser als beim Üben", sagt Zils. Schließlich sei die Konzentration dann einfach noch höher. Außerdem gibt es einen weiteren Vorteil. "Der Markt geht leicht bergauf. Dadurch können alle das Handzeichen noch etwas besser sehen", erklärt Zils.

Und wer weiß: Vielleicht findet ja auch der Mitarbeiter mit dem Hamburger Autokennzeichen eines Tages den Weg zur Neusser Königsparade und versteht dann, was die Scheibenschützen vor dem Eingang seiner Arbeitsstelle geübt haben.

(RP)
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