Rheinisches Landestheater Begierig nach Biederkeit

Rheinisches Landestheater · "Country Music" hatte am Samstag Premiere im Rheinischen Landestheater

Ein Häuschen im Grünen, ein guter Job, eine Frau, die zu ihm hält, vielleicht sogar ein Kind: Jamies Träume vom Leben sind keineswegs maßlos und doch scheinen sie unerreichbar für einen wie ihn, ein Broken-Home-Kid, aufgewachsen mit dem Faustrecht, einen, der die Wahl hat zwischen schlagen und geschlagen werden, einen aus dem sozial erodierten Subproletariat eben, chancenlos, missbraucht und glühend vor Sehnsucht nach dem kleinen biederen Glück.

"Country Music" heißt das Stück, in dem der britische Erfolgsautor Simon Stephens Jamies fast schon alltägliche Geschichte erzählt und das Steffen Popp jetzt für das Rheinische Landestheater zu einem sehr eindringlichen, intensiven Theaterabend gemacht hat. Vier Szenen zeigt "Country Music" aus Jamies Leben, vier Begegnungen mit Menschen, die er über alles liebt und zu denen dennoch die Nähe misslingt.

Könnte es wirklich anders laufen für einen, dessen Sprache aus Verbalinjurien besteht, dessen Körper nichts als die Morpheme der Gewalt gelernt hat und dessen brennende Sehnsucht allein aus seinen Augen spricht? Stefan Diekmann ist einfach grandios, erschütternd, restlos glaubwürdig, vor allem unerhört sehenswert als 18-jähriger Jamie, begierig nach einem Leben im Hier und Jetzt als 29-jähriger Häftling, bedrückt und gelähmt, schließlich als gebrochener 39-Jähriger, dessen Leben ein Provisorium von Dauer geworden ist, einer, der nirgendwo hingehört und der weiß, dass ihn niemand erwartet.

Zurückhaltend und eben deshalb eindrucksvoll gestaltet Rahel Seitz das dürftige Inventar dieses Lebens: Thermoskanne, Zelt und Kühltasche charakterisieren den Heimatlosen, eine Mauer mit zubetonierten Fenstern zeigt Jamies klamme Perspektivlosigkeit. Mutig aber absolut brillant ist Popps Entscheidung, Handlung und Situationen erzählen zu lassen und die Darsteller auf Sprache und Mimik zu begrenzen. Zum einen fokussiert er so die Aufmerksamkeit auf die Gesichter und lässt die Zuschauer sehr genau hineinschauen in diese Spiegel der Seelen, zum andern zeigt er seine Figuren als paralysierte, sich selbst fremde Wesen, denen ohne Körpersprache auch jegliche Wärme und Herzlichkeit fehlt.

Riesige Anforderungen stellt Popp damit an die Darsteller. Und diese Chance weiß André Felgenhauer als Jamies Bruder Matty hervorragend zu nutzen, wenn er die umfassende Beklommenheit beim Gefängnisbesuch intensiv, fast schmerzhaft spürbar macht, ebenso Emilia Haag als Tochter Emma, deren Mimik Jamie eine abweisende aber doch transparente Fassade zeigt, durch die Emmas ganze Ratlosigkeit, ihr Zorn und ihre unterdrückte Liebe schillern. Katharina Dalichau schließlich ist großartig als Lynsey, sprach- und ratlos wie Jamie, auf eben jenem schmalen Grat zwischen dem Drinnen und Draußen der Gesellschaft.

(RP)
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