Umweltausschuss in Neuss Baumfällung - Politik legt Verwaltung Fesseln an

Neuss · Die Politik zieht Konsequenzen aus der Diskussion um das Naturdenkmal Kastanienallee. Das wird die Arbeit des Amtes für Stadtgrün verändern, warnt der Beigeordnete.

 Bevor in Neusser Parks künftig Bäume gefällt werden, ist die Baumkommission einzubeziehen.

Bevor in Neusser Parks künftig Bäume gefällt werden, ist die Baumkommission einzubeziehen.

Foto: dpa/Carmen Jaspersen

Die Verwaltung möchte im Stadtgarten nicht weniger als 37 Bäume fällen, deren Zustand sich seit einer Kontrolle im Frühjahr so rasant verschlechtert haben soll, dass sie nicht zu retten sind. Doch der Umweltausschuss hat dieses Vorhaben am Mittwoch – vorerst – gestoppt. Das lässt aufhorchen.

Bislang hätte die Politik im Vertrauen auf den Sachverstand der Mitarbeiter im Amt für Stadtgrün einem solchen Hinweis ohne weiteres Glauben geschenkt, doch dieses Vertrauen ist erschüttert. Anlass dafür ist die Debatte über die Kastanienallee in Selikum. Ein Naturdenkmal, das die Verwaltung abholzen wollte und erst davon Abstand nahm, nachdem ein von Anwohnern beauftragtes Gutachten belegt hatte, dass mindestens acht der verbliebenen elf Bäume kein Fall für die Kettensäge sind. „Ohne unser Drängen auf dieses Gutachten wäre das Naturdenkmal jetzt schon nicht mehr da“, stellt Thomas Schommers von der Selikumer Cornelius-Gesellschaft fest.

Im Ausschuss entschuldigte sich der Umweltdezernent Matthias Welpmann mehr als einmal „für die Verwirrung und einen Vorschlag, der materiell nicht haltbar war“. Trotzdem fasste die Politik einen Beschluss, der die Befugnisse der Baumkommission aufwertet und der Verwaltung deutlich Fesseln anlegt. So will sie vermeiden, dass in Zukunft von Fall zu Fall Entscheidungen über Baumfällungen getroffen werden. Und das gilt schon für die 37 angeblich todgeweihten Bäume im Stadtgarten.

Künftig gilt: Soll in unter Schutz stehenden Alleen, geschützten Landschaftsbestandteilen oder Landschaftsschutzgebieten und erst Recht im Fall von Naturdenkmälern ein Baum gefällt werden, ist zwingend ein Gutachten eines Sachverständigen einzuholen. Dieser darf die Bäume nicht nur auf Grund einer visuellen Prüfung beurteilen, wie das zunächst in Selikum der Fall war, sondern muss messtechnische Verfahren einbeziehen, die eine zerstörungsfreie Untersuchung ermöglichen. Zweitens gilt für Bäume in Parks- und Grünanlagen, dass vor einem Fälltermin die Baumkommission einzubeziehen ist, der es nach einem Ortstermin frei steht, ihrerseits ein Gutachten einzufordern. Das nimmt nur die Fälle aus, wo Gefahr im Verzug und die Verkehrssicherung gefährdet ist. Trotzdem sagt Welpmann: „Was Sie da beschließen, hat massive Auswirkungen auf unsere Arbeitsweise.“

Zu diesem „Knebelbeschluss“ kamen noch vor allem von der SPD in Sachen Kastanienallee vorgetragene schwere Vorwürfe in Richtung Welpmann. Das erste (visuell erstellte Gutachten), auf das der Beigeordnete – in bestem Vertrauen – seine weitreichende Entscheidung stützte, sei von diesem falsch eingeschätzt worden, sagte Marc Vanderfuhr. Er vertrat auch die Ansicht, dass die eigenen Mitarbeiter im Amt für Stadtgrün nicht ausreichend qualifiziert seien, um in so heiklen Fällen eindeutige Befunde erstellen und bewerten zu können. Dem widersprach Welpmann mit Blick auf zwei Baumsachverständige in den eigenen Reihen. Ohne Erfolg.

Trotz dieser Abreibung konnte Welpmann mit den Beschlüssen des Gremiums nicht unzufrieden sein. Auf Antrag der SPD wurde die Etatposition zur Pflege des Straßenbegleitgrüns von 480.000 auf 550.000 Euro angehoben, CDU und Grüne wiederum stellten 50.000 Euro zusätzlich für die Bewässerung gerade junger Bäume zur Verfügung und stockten den Betrag für Baumpflanzungen von 142.100 auf 200.000 Euro auf. Denn Bäume sind ein wertvoller CO2-Speicher, sagte Jürgen Rheith (Grüne). „Mehr davon.“

In Zeiten des Klimawandels gilt das mehr denn je. Vor allem in der sich im Sommer stark aufheizenden Innenstadt müssten mehr Bäume gepflanzt werden, sagte Welpmann. „Eine Klimawirkung erziele ich nicht, wenn ich nur am Stadtrand pflanze.“ In der City aber sei die Suche nach geeigneten Standorten schwer, da müssten auch die Stadtplaner und das Tiefbaumanagement mithelfen.

Der Klimawandel setzt aber dem Bestand insgesamt schon stark zu. „Wir werden viel mehr Bäume verlieren, als geplant. Das wird über uns hereinbrechen“, sagt der Beigeordnete, der dem Ausschuss einen kleinen Vorgeschmack davon nicht ersparen konnte. Allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres mussten deshalb schon 272 Bäume an den Straßen und in den Parks gefällt werden, ein großer Teil davon aufgrund der Rußrindenkrankheit. An anderen Bäumen, an denen sich nach dem zweiten heißen und trockenen Sommer in Folge Totholz gebildet hatte, mussten Pflegeschnitte gemacht werden. Die Ausgaben dafür überstiegen mit 250.000 Euro bis heute die Vorjahresausgaben schon um 90.000 Euro. Hinzu kommen bereits 205 ersatzweise gepflanzte Bäume, zu denen noch 230 weitere Bäume kommen, die im südlichen Rheinpark, Am Jröne Meerke und auf einer Streuobstwiese in Allerheiligen Wurzeln schlagen sollen.

Aktuell ist die Stadt noch dabei, ein Baumkataster zu erstellen, das bislang 45.000 Einzelbäume erfasst und insgesamt einmal gut 60.000 Bäume katalogisieren soll. Parallel dazu wurde ein „Umbau“ eingeleitet. Rosskastanie und Bergahorn, die wenig Hitzestress ertragen und als problematisch gelten, haben in Neuss keine Zukunft. An ihre Stelle treten Traubenbaum, Spitzahorn oder Tulpenbaum. Auch klimastabile Baumarten wie Baumhasel oder Schwarznuss werden künftig in die Bestände aufgenommen, heißt es in einem Bericht der Verwaltung.

Privatleuten oder Betrieben will die Stadt Gelegenheit geben, diesen Umbau mit Spendengeldern zu unterstützen. Die Anwohner der Kastanienallee wären dazu bereit. Die Verlängerung „ihrer“ Allee bis zum Nixhütter Weg mit Walnußbäumen würden manche gerne als Baumpaten fördern – damit die Stadt gleich etwas größere Bäume setzt.

Der Autor Christoph Kleinau kommentiert hier.

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