Neuss Außen Nô, innen Shakespeare

Neuss · Neuss "Ist Flüstern nichts? Und Wang' an Wange lehnen? Nas' an Nase? Mit innern Lippen küssen?" Die Worte sind zwar unverständlich, aber das Gesicht spricht Bände: Der sizilianische König Leontes kann nur Japanisch, aber weil er sich mehr und mehr in Rage steigert, die Stimme sich zu überschlagen droht, sein Gesicht sich zu einer Fratze verzerrt und selbst sein getreuer Freund Camillo ihn nicht besänftigen kann, ist klar: Er ist im Sinne des Wortes wahnsinnig eifersüchtig.

 Hermione und Polyxenes (im Hintergrund) verstehen sich in den Augen von König Leontes (r.) allzu gut ...

Hermione und Polyxenes (im Hintergrund) verstehen sich in den Augen von König Leontes (r.) allzu gut ...

Foto: Ryutopia Noh-Theatre

Die englischen Obertitel und ein erklärendes Programmheftchen sind unerlässlich, um der Aufführung des japanische Ryutopia No-Theatre Shakespeare Company von der Komödie "Das Wintermärchen" folgen zu können. Denn das vermutlich um 1610 von Shakespeare geschriebene Stück gehört nicht gerade zu den häufig gespielten, so dass sein Inhalt beim Gros der Zuschauer im Globe kaum vorausgesetzt werden kann.

Aber mindert das die Faszination der Inszenierung von Yoshihiro Kurita? Nicht im geringsten. Denn wann gibt es in unseren Gefilden schon mal die Chance, einen Shakespeare in Kombination mit dem traditionellen Nô-Theater zu sehen?

Nô heißt "können", und das ist wahrlich eine Voraussetzung für die Beherrschung dieses Bühnenspiels, das in der Edo-Zeit (1603 - 1867) seine Blütezeit erlebt hat und in dem alles eine Sache der Erscheinung ist: Die Masken, die Kostüme, die Gesten, selbst die Bühnenpositionen sind unverrückbar feste Bestandteile.

Bewegung spielt eine untergeordnete Rolle und vollzieht sich eher schleichend auf weiß gewandeten leisen Sohlen, die unter prächtigen Kostümen verschwinden. Ein Kariginu in kräftigem Rot mit Gold und geometrischen Mustern - Fürst Leontes ist im Nô-typischen Männergewand für einen hochmögenden Herrn gekleidet.

Seine Frau Hermione, die er der Untreue mit seinem besten Freund Polyxenes, dem König von Böhmen, bezichtigt, trägt ein elegantes Karaori, das typische Gewand der Frauen. Aber auch alle anderen Kostüme sind ästhetisch und traditionell, ohne indes die Schwere der manchmal fünf Kilo wiegenden Nô-Kostüme zu haben.

Äußerlich im Nô-Theater, innerlich im Globe von Shakespeare - Regisseur Kurita bewegt sich sicher auf einem schmalen Grad und streicht alles, was die Balance stören könnte: So verzichtet er auf den Spitzbuben Autolycus, mit dessen Auftritt europäische Theatergruppen normalerweise die ganze Bandbreite der Burleske ausschöpfen, aber auch auf die typischen Nô-Gesichtsmasken, die das Spiel womöglich zu steif machen würden.

Stimme und Kostüme sind die Instrumente, mit denen er die Geschichte von Leontes erzählt, der aus Eifersucht den Blick für die Realität verliert. Erst als sein Sohn stirbt und ihm der Tod seiner Frau verkündet wird, findet er zu seinem alten Ich zurück. 16 Jahre dauert es, bis ihm der verbannte Freund aus Böhmen die in Leontes Auftrag vermeintlich getötete Tochter präsentiert und sich herausstellt, dass Hermione sich die ganze Zeit nur versteckt hielt.

Ein wahrlich reiches Bildertheater, das allen Sprachschwierigkeiten zum Trotz faszinierte und einmal mehr das Bemühen der Festivalleitung um Dr. Rainer Wiertz honorierte, auch nach ungewöhnlichen Adaptionen Ausschau zu halten.

(NGZ)
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