Neuss Auf Osterhasensuche am Hasenberg
Neuss · Alle suchen nur nach seinen Eiern, aber wer spürt schon denjenigen auf, der sie versteckt? Unsere Autoren wagten einen Versuch.
Es hätte alles so einfach sein können. Doch die zunächst so scharf konstruierte Gedankenkombination sollte sich als Milchmädchenrechnung erweisen. Die Aufgabe klingt simpel: Finde den Osterhasen. Experten haben nach jahrzehntelangen Forschungen herausgefunden, dass er sich womöglich in Neuss aufhält. Nur sein genauer Standort ist streng geheim. Die Gelegenheit, die Sache in Sherlock-Holmes-Manier selbst in die Hand zu nehmen.
Die Spurensuche beginnt mit einem Blick auf die Neusser Stadtkarte. Immerhin müsste die Straße, auf der der Osterhase lebt, ja nach ihm benannt sein. Mehr Prominenz geht schließlich nicht. Und tatsächlich - die Straße "Am Hasenberg" in der Nordstadt klingt so, als würde er dort in einem Luxus-Bau residieren. Alles andere wäre einem flauschigen Tier, das Jahr für Jahr Kinder glücklich macht, nicht würdig. Dass die Straße nicht den Namen "Am Osterhasenberg" trägt, ist vermutlich seiner Bescheidenheit oder der Tatsache geschuldet, dass er lieber unerkannt bleiben möchte. Wer wird schon gerne beim Eier-Bemalen gestört? Merke: Der Osterhase versteckt nicht nur Eier, sondern auch sich selbst.
Nach einer Anfrage bei der Stadt setzt es jedoch den ersten kleinen Dämpfer. Der Straßenname habe wohl nichts mit dem Osterhasen zu tun, erklärt Tobias Spange vom Presseamt. "Bei der Erschließung eines Neubaugebiets an der Neusser Weyhe griff man zunächst nur auf den mündlich überlieferten Flurnamen ,Kningesbersch' zurück. ,Kning' ist Plattdeutsch für Wildkaninchen", sagt Spange. Der Name sei vermutlich entstanden, weil die heutige Neusser Weyhe schon damals von Wildkaninchen bevölkert gewesen ist. Die Umbenennung in "Am Hasenberg" erfolgte schließlich im Jahr 1949. Diese Information ist aber noch lang kein Grund, Sherlock-Holmes-Pfeife und -Mantel an den Nagel zu hängen.
Auf den ersten Blick ist "Am Hasenberg" eine Straße wie jede andere. Nicht mal überdurchschnittlich viel Osterschmuck hängt in den Fenstern. Man fragt sich nur, wo denn der Berg ist. Vermutlich ist es die kleine Erhebung, auf deren "Gipfel" ein Fußgänger- und Radweg verläuft - das ist aber eher ein "Bergchen".
Den ersten heißen Tipp liefert Anwohner Kurt Stöhrer, der vor seiner Haustür eine Osterhasen-Attrappe samt bunten Eiern platziert hat. Er sehe täglich flauschige Tiere, die die Wiese hinter seinem Haus entlanghoppeln. Eine Spur, der es nachzugehen gilt.
Wenige Meter weiter sind Anita Norff und ihr Enkel Can - im Kinderwagen sitzt der zweite Enkel Sam - auf dem Weg nach Hause. Sie freuen sich zwar auf ein schönes Osterfest samt Eiersuche und allem, was sonst noch dazugehört, den Osterhasen haben sie aber auch noch nicht gesehen. Doch das heißt nichts bei solch einem Meister der Tarnung.
Was raschelt da im Gebüsch? Plötzlich schnellt etwas stark Behaartes mit großen Löffeln über die Wiese nahe der kleinen Erhebung, die die Straße "Am Hasenberg" teilt. Es ist zwar nicht der Osterhase, aber dafür ein Kaninchen - was zu dessen entfernten Verwandten zählen dürfte. Doch es gibt Unterschiede, die beachtet werden müssen. Hasen sind zum Beispiel weitaus größer. Die Wildtiere werden bis zu sechs Kilogramm schwer und ihre Gestalt ist schlank und gleichzeitig kräftig. Die Ohren werden länger als der Schädel. Hasen kommen praktisch voll entwickelt zur Welt. Kaninchen erreichen dagegen bloß ein Gewicht von bis zu zwei Kilo. Ihre Ohren sind kürzer. Der Hase ist zudem ein Einzelgänger.
Versteckt der Osterhase womöglich seine Eier gar nicht mehr selbst, sondern hat eine ganze Schar von Kaninchen engagiert, die ihm die Arbeit abnehmen, während er in seinem dekadent ausgestatteten Bau Mohrrüben knuspert?
Wenige Minuten erhält diese These neues Futter. Denn Horst Müdder-Berg, Ausbilder bei der Landschaftsgärtnerei der Stiftung Bildung & Handwerk "Am Hasenberg", verrät, dass täglich unzählige Kaninchen über das rund 10.000 Quadratmeter große Gelände hoppeln. Während viele Kinder bei ihrem Anblick "Oh, wie süß" quieken, ist Müdder-Berg alles andere als begeistert über ihre Omnipräsenz. "Für uns sind sie wie eine Plage. Sie fressen unsere Stauden und graben auch die Wurzeln aus", sagt er. Um einen Bereich, auf dem Azubis ihre Pflanzen für Projektarbeiten platziert haben, wurde extra Draht gespannt. Viele andere Felder sind umringt von "Storchenschnabel" - ein Verwandter der Geranie. "Den Duft dieser Pflanze können Kaninchen nicht ausstehen."
Hinter dem Fenster eines Wohnhauses fallen plötzlich zwei große Ostereier auf, die die Blicke mit ihren knallig-bunten Farben auf sich ziehen. Luisa Weinrich lebt dort mit ihren Eltern. "Das sind Murano-Eier. Die kommen aus Venedig", sagt die 21-Jährige. Die Eier sind so aufwendig gestaltet, die kann nur der Osterhase höchstpersönlich kreiert haben. Anscheinend muss die These mit der Straße "Am Hasenberg" noch einmal überdacht werden - auf nach Venedig.