Historische Rezepte aus Neuss Wie schmecken Kuchen aus dem 19. Jahrhundert?

Neuss · Anhand von historischen Rezepten hat Konditor Michael Wegel Kassenschlager aus dem 19. Jahrhundert nachgebacken. Unsere Redaktion hat die süßen Kreationen probiert. Wie sie wohl schmecken?

 Gehen den Torten auf den Grund (v.l.): Carl Pause, Marion Tiefenbacher-Kalus und Michael Wegel.   NGZ-Foto: woi

Gehen den Torten auf den Grund (v.l.): Carl Pause, Marion Tiefenbacher-Kalus und Michael Wegel. NGZ-Foto: woi

Foto: Andreas Woitschützke

Die eine zuckersüß, die andere extrem zitronig – so müssten den Neussern die ersten Torten geschmeckt haben, die in der Stadt vor knapp 200 Jahren angeboten wurden. Konditor Michael Wegel hat gemeinsam mit dem Historiker Carl Pause vom Clemens-Sels-Musem und der Gastronomin Marion Tiefenbacher-Kalus in historische Kochbücher geschaut und einige der damals populärsten Kreationen nachgebacken. „Das war gar nicht so einfach – erst einmal musste ich die Maßeinheiten – eine Quart, ein Lot oder ,für einen Groschen Zimt‘ in heutige Einheiten übertragen“, sagt Wegel.

Nachdem er in einem alten Buch zur Umrechnung von Maßeinheiten fündig wurde, hat er in seiner Backstube in der „Kleine Konditorei Weigel“, die er seit 18 Jahren an der Michaelstraße betreibt, eine „Wiener Torte“, ein mehrschichtiges, pyramidenartiges Gebilde aus Mandel-Mürbeteig und Kirsch-, Apfel-, und Himbeermus, eine äußerst saure Zitronen-Blätterteig-Tarte und eine für heutige Verhältnisse etwas geschmacksneutrale „Obers-Torte“ gebacken.

„Vor 200 Jahren brauchte man einen ganzen Tag zum Backen einer Torte“, sagt Wegel. Süßmittel wie Honig oder Zucker mussten erst bearbeitet und Mandeln oder Marzipan im Mörser zerstoßen werden. „Obers ist das österreichische Wort für Sahne“, erklärt Pause. In dieser Torte, die wie viele Backwerke der damaligen Zeit nach der Haupt-Zutat oder der Teigart benannt wurde, seien außer der Sahne zwölf Eier, jedoch nur ein Löffel Mehl, und etwas Zimt versteckt, verrät Konditor Wegel. „Das war schon etwas anspruchsvoll – zweieinhalb Stunden musste diese Torte bei geringer Hitze backen.“

Präsentieren wird er die Torten nach historischen Rezepten bei der Eröffnung der Ausstellung „Süßkram. Naschen in Neuss“ am Sonntag, 28. Juli. Für diese Ausstellung hat Carl Pause zur Geschichte der Konditorei in Neuss geforscht und in einer Anzeige aus dem Jahr 1826 Carl Herkenrath als ersten Neusser Konditor ausfindig gemacht. In seinem Geschäft an der Oberstraße bot er der Kundschaft Biskuit-, Orangen- und Punschtorten an. „Er war seiner Zeit wohl voraus und musste den Laden schnell wieder schließen“, weiß Pause. Erst Herkenraths Sohn avancierte zum erfolgreichsten Neusser Konditor und belieferte außerdem den preußischen König. „Wir haben uns gefragt, was das für Torten waren, die er den Neussern anbot – und wie sie wohl geschmeckt haben mussten“, sagt Pause.

Also begann Marion Tiefenbacher-Kalus, die ehemalige Inhaberin des „WeinGut“ an der Neusser Münsterstraße, zu verschiedenen Torten und ihrer Historie zu recherchieren. „Die Rezepte haben sich im Laufe der Zeit durch neue Zutaten wie Schokolade und Kolonialzucker oder neue Backgeräte wie dem Schneebesen verändert. Mit dem Schneebesen konnte auch ein Biskuitteig geschlagen werden – vorher gab es nur Mürbeteigtorten“, weiß Tiefenbacher-Kalus.

Die Schwarzwälder-Kirsch-Torte sei übrigens erst nach dem Jahr  1900 erfunden worden, da man erst ab diesem Zeitpunkt eine Kühlmöglichkeit hatte und die Sahne fest schlagen konnte. „Diese Erkenntnisse zeigen, wieviel Kulturgeschichte in einer Torte stecken“, sagt die Gastronomin.

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