Neuss Als das Bier noch "flüssiges Brot" war

Neuss · Im Mittelalter war Bier als tägliches Getränk wegen seiner vielen Kalorien ein wichtiges Grundnahrungsmittel.

 Bei den Szenen für seine "Bauernkirmes" (Ausschnitt) dürfte der Maler Pieter Brueghel d.J. (1564-1638) nicht nur an das wenig rauschfördernde Dünnbier gedacht haben. Eher wohl an das "Dollbier".

Bei den Szenen für seine "Bauernkirmes" (Ausschnitt) dürfte der Maler Pieter Brueghel d.J. (1564-1638) nicht nur an das wenig rauschfördernde Dünnbier gedacht haben. Eher wohl an das "Dollbier".

Foto: CSM

Es hat Zeiten gegeben, da war es geradezu angebracht, selbst in Fastenwochen Bier zu trinken. Handwerker und Mönche kamen dabei schon mal auf fünf Liter am Tag, aber normal waren eher eineinhalb bis zwei Liter. Dass dennoch kaum jemand torkelnd durch die Gegend lief, hatte einen einfachen Grund: Das Bier hatte nur ein sehr geringen Alkoholanteil.

Wie es schmeckte, damals im Neuss des Mittelalters, ist hingegen nicht überliefert. Ein reines Genussgetränk war es ohnehin nicht, sagt Carl Pause. Der Archäologe des Clemens-Sels-Museum steckt mitten in den Vorbereitungen zu einer Ausstellung über Bier und hat zusammen mit Britta Spies. Leiterin des Schützenmuseums, zum Themenjahr "Niederrheinische ALTernativen" des Museumsnetzwerks Niederrhein ein Geschichten-Buch über "Altbier am Niederrhein" herausgegeben. Vor rund 500 Jahren fragte indes niemand nach Alt oder Pils, sondern es gab nur die Unterscheidung von Dünn- und Starkbier.

Dünnbier war das tägliche Getränk, denn "es war eine richtige Kalorienbombe", sagt Pause, "wurde nicht filtriert und sah entsprechend trüb aus." Selbst die Verbrecher im Stadtturm wurden nicht mit Wasser und Brot, sondern Bier und Brot versorgt: "Das belegen Rechnungen, die ich im Stadtarchiv gefunden habe", sagt der 46-Jährige. Bier war damals also tatsächlich "flüssiges Brot" und wurde auch an die Armen ausgegeben. In Bechern, die etwa 1,5 Liter fassten, denn bei einer Grabung in der Nähe des ehemaligen Armenhauses "Heilig Geist" an der Oberstraße habe die Stadtarchäologin Sabine Sauer Krugreste aus "billigem Steinzeug" gefunden, nach denen für die nächste Museumsausstellung eine Replik für diese Füllmenge angefertigt wurde.

Während das Dünnbier in großen Mengen und als notwendige Kalorienzufuhr für die hart arbeitenden Menschen eine sinnvolle Alternative zu dem meist verdreckten Brunnenwasser war und deswegen eben auch in der Fastenzeit getrunken wurde, gab es das sogenannte Festtags- oder Starkbier nur zu besonderen Anlässen. "Es war allerdings nicht so haltbar und sauber wie das heutige Bier", sagt Pause, "wurde auch schnell sauer." Und mutierte dann zu Essig, "denn man ließ nichts verkommen".

Gleichwohl gibt es in den Annalen der Stadt auch immer wieder Klagen über ein "übermäßiges Saufen" — auch des Stadtrats. Dann dürfte das "Dollbier" aus einer privaten Quelle im Umlauf gewesen sein: ein Biergetränk, dem Dollkraut beigemischt wurde. Man vermutet heute, so erklärt Pause, dass es sich dabei um das Schwarze Bilsenkraut gehandelt habe — das auch giftig sein kann. "Ja", sagt Pause, "es war ein Gottesspiel, welche Bestandteile beim Brauen überwogen." So hagelte es immer wieder Brauverbote seitens der Stadtoberen und auch aus dem Umfeld des Kölner Erzbischofs. "Was zeigt", sagt Pause schmunzelnd, "dass das viele nicht kümmerte."

Karneval wurde übrigens auch im Mittelalter schon gefeiert. Etwa im schon erwähnten Armenhospital mit den Honoratioren der Stadt. "Aber es war schon wichtig, wo man am Tisch saß", erläutert der Archäologe, "ob oben oder unten oder gar am Katzentisch." Entsprechend wurde auch aufgetischt — Dünnbier in billigen Steinkrügen oder Schlemmereien auf guten Platten.

(NGZ/ac)
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