Neuss Adenauers First Lady

Neuss · Als ihre Mutter 1948 starb, stand sie ihrem Vater, der ein Jahr später Kanzler wurde, zur Seite und begleitete ihn zu Staatsbesuchen. Die heute 87-jährige Libet Werhahn-Adenauer erinnert sich.

 Fünf Kinder, 17 Enkel und acht Urenkel hat die 87-Jährige.

Fünf Kinder, 17 Enkel und acht Urenkel hat die 87-Jährige.

Foto: Woitschützke

Mit sich selbst ist sie eher ungeduldig. Ein Sturz hat Elisabeth Werhahn-Adenauer schon vor Monaten außer Gefecht gesetzt, die Heilung will nicht so schnell vorangehen, wie die 87-Jährige es gerne hätte. Aber was sagt der Rheinländer in Situationen, die er nicht ändern kann? "Donn fott!" Könnte auch von ihrem Vater stammen, Konrad Adenauer, dem ersten Kanzler der jungen Bundesrepublik Deutschland (von 1949 bis 1963). Seine jüngste Tochter Elisabeth, die in Kurzform Libet genannt wird, wurde 1928 geboren und übernahm mit dem Amtsantritt ihres Vaters die Rolle der deutschen "First Lady" anstelle der ein Jahr zuvor gestorbenen Mutter. Sie begleitete ihn bei Staatsbesuchen und Empfängen, saß mit den Kennedys an einem Tisch, war Tischdame von Charles de Gaulle.

Auch als Libet Adenauer 1950 in die Neusser Familie Werhahn einheiratete, selbst Kinder bekam, reiste sie immer wieder mit dem "Vater", wie sie ihn heute noch liebe- und respektvoll nennt, durch die Welt. Sie hatte dafür schon zu einer Zeit die Unterstützung ihres Mannes Hermann Josef, als die meisten Frauen sich noch mit den drei K's zufriedengeben mussten: Küche, Kinder, Kirche. Die Neusser Unternehmerfamilie hingegen hat es ihr weniger leicht gemacht: "Mein Mann wurde bedauert", erzählt sie amüsiert, aber der begrüßte nicht nur die Aktivitäten seiner Frau, sondern stand auch ganz und gar auf der Seite seines unprätentiösen Schwiegervaters, der mit der strengen Industriellen-Familie fremdelte - und die wohl auch mit ihm.

 In der Oper traf sie 1961 auf Jackie Kennedy.

In der Oper traf sie 1961 auf Jackie Kennedy.

Foto: Hammer

Die Zeit der Reisen, der Gespräche mit ihrem Vater, der von seiner Tochter stets eine eigene Meinung erwartete, hat sie geprägt. "Vater konnte unglaublich gut zuhören", sagt sie. Sein Einsatz für Freiheit und Demokratie nach der Zeit der Nazi-Diktatur, für Europa und die Westanbindung der Bundesrepublik hat ihr eigenes Leben beeinflusst. "Da ging es nicht um wirtschaftliche Macht", sagt sie in Erinnerung an die ersten Verhandlungen. "Das Leben war damals größer als alle Entscheidungen. Heute wackelt der Schwanz mit dem Hund."

Schon in ihrem Rhöndorfer Elternhaus hatte Konrad Adenauer den Sprösslingen Paul, Lotte, Libet und Georg einen Grundsatz vermittelt: "Ihr müsst euch bemerkbar machen, aber mit Verantwortung und mit Mut." Der Satz habe nicht nur ihr eigenes Leben bestimmt, sagt die heute 87-Jährige, sie habe ihn auch an ihre eigene Familie, zu der fünf Kinder, 17 Enkel und acht Urenkel gehören, weitergegeben. Und sie hat ihn umgesetzt. Libet Werhahn-Adenauer gehörte in den 1970er Jahren zu den ersten Frauen, die in der Neusser Kommunalpolitik starke eigene Akzente in der Kultur- und in der Sozialpolitik setzten. Den Namen ihres Vaters hätte man sich damals in der Neusser CDU gern zunutze gemacht, erzählt Libet Werhahn-Adenauer schmunzelnd: "Aber darauf reagierte ich allergisch." Gleichwohl war und ist die CDU ihre Partei, fast 20 Jahre war sie als sachkundige Bürgerin und als Ratsfrau aktiv.

 Libet Werhahn-Adenauer mit John F. Kennedy 1961 in den USA.

Libet Werhahn-Adenauer mit John F. Kennedy 1961 in den USA.

Foto: Linda Hammer

"Ich hätte mich doch nie im Europa-Wahlkampf so engagiert, wenn mein Vater mich nicht so geimpft hätte", sagt sie. Auch im Sprachduktus ähnelt sie ihm: Sie ist Rheinländerin durch und durch, scheut klare Worte nicht, aber kann genauso verschmitzt wie ihr Vater gucken, wenn sie ihre Meinung zum aktuellen Geschehen kundtut. Nicht unter dem Aspekt "Früher war alles besser", aber eines konstatiert Libet Werhahn-Adenauer doch: "Man hatte früher mehr Zeit zum Reden, persönliche Kontakte waren wichtig, heute hängt man ständig am Handy, und es wird alles immer sofort entschieden. Das bringt die Menschen aber nicht zusammen."

In der heutigen Politik vermisse sie die Typen. Zweifellos war ihr Vater ein Politiker, an dem man sich reiben konnte. Wie auch Willy Brandt, Herbert Wehner oder Franz-Josef Strauß. Aber heute? "Es gibt keine Persönlichkeiten mehr."

Mit einer Ausnahme: Angela Merkel. Die 87-Jährige wägt jedes Wort ab: "Sie ruht in sich und trägt ihre Entschlüsse, weil sie ein Gewissen hat. Sie passt sich nicht an. Da können die Männer noch so sehr gegen sie angehen: Sie schaffen es nicht." Sie könne sich noch gut daran erinnern, wie 2000, bei der Wahl Merkels zur CDU-Vorsitzenden in Essen, die Landesvorsitzenden der CDU schon "die Messer geschliffen" hätten: "Ich habe mit ihr darüber geredet, aber sie hat nur gesagt: Die sollen mal kommen."

Der Kontakt zur Kanzlerin ist zwar inzwischen weniger persönlich geworden, aber ihre Politik verfolgt die Neusserin sehr genau. Und so stellt sie fest, dass es Merkel "an rheinischer/westdeutscher Sozialkompetenz" fehle, und führt das auf ihr Aufwachsen im DDR-System zurück. Allerdings imponiert ihr die Haltung der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingspolitik. Verschiedene andere Staatschefs wie Viktor Orbán in Ungarn oder Jaroslaw Kaczynski in Polen machten es ihr nicht einfach, aber "ich hoffe sehr, dass sie bei ihrer Haltung bleibt".

Mit Sorge sieht die 87-Jährige, die den Entstehungsprozess der Europäischen Union hautnah miterlebte, dass sich der "zunehmende Nationalismus in den Ländern zu einer großen Gefahr für Europa" entwickelt. "Dabei können die Flüchtlinge doch unser Europa retten!" sagt sie bestimmt. Jenes Europa, das mit viel Schwung gestartet sei, habe weltweit an Bedeutung verloren, meint sie: "Schauen wir doch nur nach China oder auf die Arabische Welt." Europa müsse seine Grenzen offenhalten, "denn auf die Dauer kommen mit den Flüchtlingen unverbrauchte und hoffnungsfrohe Menschen, denen wir helfen können und die frische Kräfte mitbringen". An dieser Haltung haben auch die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln nichts geändert.

Ein offenes und starkes Europa - das war schon die Vision ihres Vaters, und sie hat in seiner Tochter eine vehemente Vertreterin. Dabei ist Libet Werhahn-Adenauer in eher bescheidenen bürgerlichen Verhältnissen großgeworden. In Köln geboren, in Rhöndorf aufgewachsen - das ihr immer noch ein Stück Heimat ist. Das Wohnhaus am Zennigsweg gehört inzwischen der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, aber einmal im Jahr, am zweiten Weihnachtstag, bleibt es für die Öffentlichkeit geschlossen. Dann treffen sich dort die Nachkommen des Bundeskanzlers - so wie er sich das kurz vor seinem Tod 1967 von seiner Familie gewünscht hatte. Dieses Mal nur ohne Libet Werhahn-Adenauer: wegen der Treppen, die sie mit ihrem lädierten Bein nicht steigen konnte. Und das ärgert sie dann doch sehr. Rheinischer Pragmatismus hin oder her.

(hbm)
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