Stunde Null Im Einsatz für Neuss und die Neusser

Neuss · Vier Menschen, die in der Stunde Null nach dem Kriegsende vor 75 Jahren in Neuss couragiert Verantwortung übernahmen.

 Nach dem Krieg waren in Neuss nicht nur viele Wohnhäuser zerstört.  Der Wiederaufbau war eine Herkulesaufgabe und brauchte couragierte  Politiker.

Nach dem Krieg waren in Neuss nicht nur viele Wohnhäuser zerstört.  Der Wiederaufbau war eine Herkulesaufgabe und brauchte couragierte  Politiker.

Foto: Stadt Neuss, Stadtarchiv

Wenn es um die Menschen geht, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Neuss Verantwortung übernahmen, darf ein Name nicht fehlen: Harry Arns. Nicht zuletzt, weil er wortwörtlich ein Mann der ersten Stunde war. Nur wenige Stunden nachdem die Amerikaner am 2. März 1945 Neuss besetzt hatten, wurde er gebeten, für „zwei Stunden“ als Dolmetscher behilflich zu sein. Denn als Sohn einer gebürtigen Engländerin und Halbjüdin verfügte Arns über hervorragende Englischkenntnisse und war politisch völlig unbelastet. Beste Voraussetzungen, um nun als Verbindungsmann zu fungieren.

„Für Neuss war das ein absoluter Glücksfall“, meint Jens Metzdorf, Leiter des Neusser Stadtarchivs. Denn der findige Arns habe es verstanden, Kontakte zu nutzen, um schnelle und praktische Lösungen zu finden. Dabei habe er auch oft „über den Daumen gepeilt“, aber das sei damals auch nötig gewesen, so eine Neusserin in den Zeitzeugenberichten des Stadtarchivs.

 Ex-Stadtdirektor Harry Arns wurde als Dolmetscher geholt und arbeitete am Ende 22 Jahre für die Stadt.

Ex-Stadtdirektor Harry Arns wurde als Dolmetscher geholt und arbeitete am Ende 22 Jahre für die Stadt.

Foto: Stadtarchiv Neuss

Mit Erfolg für die Stadt und auch die eigene Karriere: Arns wurde erst Hilfsdezernent, dann Beigeordneter und schließlich Stadtdirektor. Und statt zwei Stunden arbeitete er schließlich 22 Jahre für die Quirinusstadt.

 Kehrte der Politik nach kurzer Zeit wieder den Rücken: der Arzt Josef Schmitz.

Kehrte der Politik nach kurzer Zeit wieder den Rücken: der Arzt Josef Schmitz.

Foto: Stadtarchiv Neuss/Fotoatelier Bathe

Josef Schmitz dagegen war „nur“ vom Kriegsende bis 1947 in politischen Ämtern, doch für den Neuanfang von großer Bedeutung. Der praktische Arzt war als politisch Unbelasteter in den Bürgerausschuss bestellt worden, und war dann von seinem besten Freund Alfons Frings gebeten worden, das neue Amt des ehrenamtlichen Oberbürgermeisters zu übernehmen. Pflichtbewusst sagte er zu. Die Zeiten seien ernst und man müsse sich kraftvoll bemühen, das Chaos, das die Schreckensherrschaft hinterlassen habe, zu beseitigen, wird Schmitz im Buch „150 Bürger“ zitiert. Diesem Anspruch kam er trotz aller Schwierigkeiten nach. Allerdings blieb seine eigentliche Berufung sein Beruf – als Arzt. So kehrte er 1947 der Politik den Rücken.

 Der Tabakladen der Stadtverordneten Ida Schmidt war ein Ort politischer Debatte.

Der Tabakladen der Stadtverordneten Ida Schmidt war ein Ort politischer Debatte.

Foto: Stadtarchiv Neuss

Der Name Josef Schmitz blieb den Neussern jedoch erhalten. Denn der Zufall wollte es, dass ein anderer Bürger mit gleichem Namen politische Verantwortung übernahm. Dieser Josef Schmitz war bis zur Machtergreifung der Nazis SPD-Stadtverordneter, ehrenamtlicher Beigeordneter und 1. Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes gewesen. Die Nazis enthoben ihn von allen Ämtern und inhaftierten ihn mehrfach. Doch Schmitz blieb seiner Überzeugung treu. Aufgrund dessen beriefen ihn die Amerikaner zum Stadtverordneten, und im November 1946 wurde Josef Schmitz zum ersten sozialdemokratischen Bürgermeister von Neuss gewählt.

 Josef Schmitz wurde 1946 zum ersten SPD-Bürgermeister (unter dem Oberbürgermeister) gewählt.

Josef Schmitz wurde 1946 zum ersten SPD-Bürgermeister (unter dem Oberbürgermeister) gewählt.

Foto: Stadtarchiv Neuss

Ein Amt das er bis 1963 ausübte. Was ihn besonders auszeichnete: Trotz aller Repressalien der Nazis übte er als Mitglied des Entnazifizierungsausschusses viel Nachsicht und blieb pragmatisch. So erklärte er laut einem Protokoll der DGB-Gründungsversammlung zu der Frage, ob auch Nazis aufgenommen werden dürften: „Wir hatten 99,2 Prozent Wähler, die für Hitler gestimmt haben. Wenn wir nur 0,8 Prozent in unserer Organisation aufnehmen, dann sind wir schwer dran.“

Ganz ähnlich berichten Zeitzeugen über Ida Schmidt. Als Mitglied der Kommunistischen Partei Opposition (KPO – eine Splitterpartei der KPD) wurde sie von den Nazis mehrfach verhaftet und vor Gericht gestellt. Dennoch nahm sie nach dem Krieg sofort wieder aktiv am Aufbau von Neuss teil: Als Stadtverordnete, die in vielen Ausschüssen aktiv war, vor allem aber auch als politisch aktive Demokratin. Ihre kleine Wohnung und ihr Tabakladen waren für viele Menschen unterschiedlichster politischer Richtungen – auch für den Bürgermeister und den Stadtdirektor – ein Treffpunkt, um über politische Tagesereignisse oder Probleme der Stadt zu diskutieren.

Dabei sei Schmidt zwar streitbar, aber auch durchaus tolerant gewesen. „Wir glauben, wenn Frauen wie sie unser Schicksal bestimmen könnten, gäbe es keine Kriege mehr. Wir zählen sie zu den wenigen Menschen, die das, was sie sagten, auch lebten“, schreibt eine Neusser Familie in einem Kondolenzbrief zum Tode Ida Schmidts an deren Tochter. Vielleicht sogar das Wichtigste, was man in der Stunde Null vorleben konnte.

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