Was trotz Krisen bleibt und kommt 2022 war für Neuss und den Rhein-Kreis (auch) gutes Jahr
Meinung | Neuss · Ein Jahr zum Vergessen, wer hat das in diesen Tagen noch nicht gehört. Stimmt und stimmt auch wieder nicht, denn trotz der Übermacht der Krise hat sich 2022 in Neuss und im Rhein-Kreis eine Menge bewegt.
Was für ein Jahr! In der Tat, was hat sich da alles getan. Neuss hatte zwar nicht die Welt zu Gast, konnte beim Internationalen Hansetag aber immerhin Delegationen aus vielen Ländern Europas willkommen heißen. In der Stadt herrschte Festivalstimmung – fast schon ein kleines Sommermärchen Ende Mai (oder Schützenfest-Atmosphäre, wie es sie Ende August endlich wieder live zu erleben gab). Und doch war’s eigentlich nur ein Vorgeschmack, denn: 2022 war für Neuss auch ein Jahr der Entscheidung. 2026 wird die Quirinusstadt erneut Gastgeber sein, dann allerdings endgültig im XXL-Format.
Die Landesgartenschau kommt, ein Projekt, das in Neuss weit mehr sein wird als eine bunte Blümchenschau. Von der Innenstadt über Wendersplatz und Rennbahnpark bis an den Rhein zieht sich das künftige Gartenschaugelände, derzeit an vielen Stellen noch brach liegend, im Dornröschenschlaf, weit unter Wert verkauft und genutzt. Die Stadt wird sich wandeln mit der Landesgartenschau, so viel ist jetzt schon sicher. Mehr Grün, mehr Klimaschutz, mehr Aufenthalts- und Lebensqualität. Die „Laga“ kann viel bewegen. Apropos Bewegung: 2020 markiert in Sachen Mobilität vielleicht keinen Meilenstein, aber immerhin einen Kurswechsel. Die Drususallee als Fahrradstraße löst allein noch kein Verkehrsproblem und in der Umsetzung hat es an der einen oder anderen Stelle gehakt, unter dem Strich zeigt sich aber, dass auch in Neuss noch manches geht in Sachen neuer Mobilität. Darüber muss man nicht zwangsläufig einer Meinung sein, wie die kontroverse Diskussion über den Verkehrsversuch sehr deutlich gemacht hat. Dennoch wird sichtbar: Es bewegt sich etwas – und das sind eben nicht mehr allein die Autos.
Für den Wendersplatz werden unterdessen die Planungen konkreter, im Hafen wird mit dem von Bürgermeister Reiner Breuer hoch priorisierten Projekt „Erftsprung“ daran gearbeitet, die Kapazität für Güterumschlag und Warenverkehr deutlich zu steigern. Neuss könnte damit die Logistikdrehscheibe für das Rheinische Revier werden – und würde sich damit, sollte er denn gelingen, ein Stück vom Strukturwandel-Kuchen sichern. Denn der Kohleausstieg wird die Region verändern. Gehen die 2022 geschmiedeten und weiter konkretisierten Pläne auf, hat das Revier die Chance, einer der wichtigen Innovationsstandorte in Deutschland zu werden. Dafür stehen auch Initiativen wie das stark vom Rhein-Kreis unterstützte Global Entrepreneurship Centre (GEC) in Meerbusch oder das Launch-Center für die Lebensmittelwirtschaft in Neuss, die 2022 an den Start gingen oder in der Planung zumindest deutlich konkreter wurden.
Bei Grevenbroich sollen, auch das Entscheidungen aus 2022, unterdessen modernste Gaskraftwerke entstehen, die später mit der Zukunftsenergie Wasserstoff betrieben werden können, neue Windparks kommen hinzu, XXL-Fotovoltaikanlagen ebenso. Fortschritte gab es in den vergangenen zwölf Monaten zudem bei einer ganzen Reihe von Wohnungsbauprojekten in Neuss ebenso wie in anderen Kommunen des Rhein-Kreises. Ein Beispiel ist das Gelände der ehemaligen Sauerkrautfabrik Leuchtenberg in Neuss, auf dem die ersten Mieter in 154 neue, bezahlbare Wohnungen des Bauvereins eingezogen sind. Auch die von Landrat Hans-Jürgen Petrauschke angestoßene Servicegesellschaft, die Kommunen bei Wohnungsbauprojekten unterstützen soll, hat Fahrt aufgenommen. Erste Spatenstiche sind für 2023 zu erwarten.
Die Beispiele zeigen: 2022 hat durchaus ein „Was für ein Jahr!“ verdient. Das Problem ist, Sie ahnen es natürlich: Das war nicht alles. Neben der – zum Glück im Laufe des Jahres etwas abgeebbten – Corona-Pandemie war es der 24. Februar, der Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine, mit dem alles anders wurde. Vieles, was in einem „normalen“ Jahr gefeiert worden wäre, verblasst vor dem Hintergrund der Not der Flüchtlinge, der Folgen der Energie- und Wirtschaftskrise sowie der Angst vieler Menschen vor einem sich ausweitenden Krieg im Herzen Europas. Das Ergebnis ist ein Härtetest nicht nur für den Staat und seine Institutionen oder die Wirtschaft, sondern auch für Gemeinschaft und Gemeinsinn. Im kommenden Jahr werden viele Belastungen, die 2022 angekündigt wurden, die Haushalte erst in vollem Umfang erreichen. Vor diesen Sorgen sind auch die Menschen im Rhein-Kreis nicht gefeit. In dieser Situation kommt es, wie in den vergangenen Jahrzehnten wahrscheinlich selten zuvor, auf Strukturen an, die Halt geben – Familie, Freundschaften, Nachbarschaften und nicht zuletzt das Netzwerk in Brauchtum und Vereinen.
Gleichzeitig haben die Menschen an Rhein und Erft aber auch Grund zum Optimismus, denn sie haben das Glück in einer Region zu leben, in der sich – siehe oben – immer noch eine Menge bewegt. Und das durchaus auch zum Besseren. In diesem Sinne: Ein gutes neues Jahr!