Lesung in Neukirchen-Vluyn Zehn Gebote als Leitfaden des Lebens

Neukirchen-Vluyn · Der Theologe Okko Herlyn las in der Neukirchener Buchhandlung aus seinem neuen Buch „Zehn Gebote. Verstehen, was wir tun können.“

 Okko Herlyn sprach in der Neukirchender Buchhandlung vor Publikum.

Okko Herlyn sprach in der Neukirchender Buchhandlung vor Publikum.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Okko Herlyn ist am Niederrhein kein unbeschriebenes Blatt. Der Theologe, der vielen als Gemeindepfarrer, Theologieprofessor und Kabarettist bekannt ist, hat sich mit einem Kernthema der Religion beschäftigt. Nach Büchern wie „Was ist eigentlich evangelisch?“ oder „Vaterunser“ nimmt er nun die zehn Gebote unter die Lupe. „Mich hat der Widerspruch umgetrieben“, erklärt er bei seiner Lesung in der Neukirchener Buchhandlung vor ausverkauften Reihen.

„Einerseits behaupten viele Menschen, wie wichtig die Gebote sind. Andererseits sind die zehn Gebote der Mehrheit weitgehend unbekannt“, so Herlyn. Sie lediglich als älteste Spielregeln des gesellschaftlichen Miteinanders zu deklarieren, ist ihm zu wenig. Thomas Mann sprach sogar von der Quintessenz des Menschenanstandes. Berechtigt ist daher Herlyns Ansatz, die zehn Gebote auf ihren zeitgemäßen Anspruch zu untersuchen.

Er stößt dabei auf überzeugende Antworten zu Fragen nach Fairness, Schutz von Minderheiten oder Gerechtigkeit. „Wir könnten auch fragen, ist die Bibel noch zeitgemäß in unserer hochindustrialisierten, vom Kapital bestimmten Gesellschaft“, so Herlyn. Schnell löst er für das Publikum diese Frage. „Die zehn Gebote sind überaus zeitgemäß, aber es braucht Mühe.“

Der Herlynsche Dreisatz überzeugt. Aus Alltagssituationen entwickelt er einen aktuellen Bezug zum jeweiligen Gebot, legt neu aus. „Meine Intension ist, solide Informationen auf unterhaltsame Weise an den Mann und die Frau zu bringen, ohne zu quälen. Ich vermisse oft den unterhaltsamen Aspekt, der gerade in Glaubensfragen wichtig ist“, so Herlyn. Über die Gebote, streng genommen acht Verboten und zwei Gebote, setzt er den Freiheitsbegriff. „Die Gebote sind keine moralische Tyrannei. Wir erleben heilsam gesetzte Grenzen. Die Gebote wollen eine Weisung in die Freiheit sein und erinnern in der Präambel bereits an die Befreiung des Volkes Israel aus ägyptischer Knechtschaft.“

Das neunte Gebot „Du sollst kein falsch Zeugnis wider deinen Nächsten reden“ lieferte dem Publikum einen Einblick in das israelische Gerichtswesen, „das chaotisch war und keine klare Rollenzuweisung wie bei uns mit Staatsanwalt, Richter oder Verteidiger kannte“, so Herlyn.

Die Grundbotschaft bleibe, dass Gott auf der Seite der Ausgebeuteten und Schwachen stehe, um Schande abzuwehren. „Du sollst nicht lügen“ bedeute für Herlyn auch nicht die absolute Verpflichtung, immer die Wahrheit zusagen. Beispiele aus dem Alltag machten die Würze dieser Lesung aus. Darf man als Beschenkter sagen, dass das bunte Seidentuch so gar nicht nach Geschmack ist? Herlyn weiß aus eigener Erfahrung um den inneren Druck, Wahrheit aus Rücksicht auf andere nicht auszusprechen. So überlebte Charlotte Knobloch den Holocaust, weil in einem fränkischen Dorf eine unverheiratete Frau das kleine Mädchen als ihr uneheliches Kind ausgab. „Aber was ist Wahrheit? Diese Frau hat gelogen und so das Leben des Kindes gerettet und somit hohe Verantwortung übernommen“, so Herlyn.

Um Mord und Totschlag dreht sich das fünfte Gebot. „Du sollst nicht töten.“ Für ihn hat es überaus Berechtigung, wenn er dazu den internationalen Textilkreisel, billige Rohstoffgewinnung und Niedriglohnländer einbindet. Die westliche Welt trage direkten Anteil daran, auch am frühen Tod dieser Menschen. „Du sollst dir kein Bildnis machen“, gehört für ihn zu einem zentralen Punkt. „Welche Rolle spielen Bilder für den Glauben?“, fragte Herlyn, der dazu an die Sprengung der Buddha-Statuen in Bamiyan durch Taliban anführte. „Bilder sind wichtig, weil wir in Bildern denken und auch in der Bibel mit Bildern gearbeitet wird.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort