Neukirchen-Vluyn Kreis kappt Taxi-Geld für Behinderte

Neukirchen-Vluyn · Bislang hatte Familie Hackstein 480 Freikilometer. Jetzt setzte sie der Kreis auf Null. Teilnahme am Leben? Gestrichen.

 Glück im Unglück: Beim Vluyner Stadtfest gewannen Freunde der Hacksteins (im Bild links) ein Wochenende im Behindertcaddy des Autohauses Koch

Glück im Unglück: Beim Vluyner Stadtfest gewannen Freunde der Hacksteins (im Bild links) ein Wochenende im Behindertcaddy des Autohauses Koch

Foto: . RP-Foto_dne

Der Kreis Wesel hat bisher gewährte Fahrten für behinderte, stationär in Heimen untergebrachte Menschen zum Jahresbeginn ersatzlos gekappt. Nach Angaben des Vorsitzenden des Moerser Behindertenbeirats, Karl Rudolf Slavernik, sind davon zwischen 50 und 100 Personen allein in Moers betroffen.

Eine von ihnen ist Simone Hackstein (48). Multiple Sklerose fesselt sie an den Rollstuhl. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ist die Krankheit schlimmer geworden. Sie kann nur stark eingeschränkt sehen, nicht sprechen. Doch was um die herum vorgeht, bekommt sie mit. "Wenn bei einem Konzert alle klatschen, geht Simone mit dem linken Arm begeistert mit", berichtet ihre Mutter Irene Hackstein (71).

Solche Glückmomente werden seit Anfang 2018 rar. Denn: "Fahrtkosten zur Sozialen Teilhabe" werden vom Kreis Wesel nur noch ambulant zuhause gepflegten Behinderten gewährt. Wer wie Simone Hackstein in einem Heim lebt, geht ab sofort leer aus. Bislang bekam sie Gutscheine für 480 Kilometer pro Jahr. Ein privater Ausflug zu den Tanztagen nach Rheinhausen? Der Besuch eines Rockkonzertes am Kappellener See? Der Besuch des Lieblings-Friseurs in Repelen? Von Sozialbürokraten kühl gestrichen, mit der Begründung: Über das Pflegheim gebe es ja Angebote, am sozialen Leben teilzunehmen. Simones Eltern Irene und Ingo Hackstein schütteln mit den Köpfen.

"Auf das Johannes-Rau-Haus der Awo lassen wir nichts kommen. Die geben sich wirklich alle Mühe", sagt die empörte Mutter. Doch die beiden über 70-Jährigen wollen mit ihrer Tochter auch mal auf eigene Faust los. Mit den Bussen der Niag haben sie es versucht. Sobald die Plätze belegt seien, komme man nicht mit. In Repellen machten es hohe Bordsteine Irene Hackstein unmöglich, mit der Tochter im Rolli von der Straße wegzukommen. An Wochenenden vergehen gerne mal zwischen 30 und 60 Minuten bis zum nächsten Anschluss.

Einen Lichtblick gab's beim Vluyner Stadtfest. Freunde der Hacksteins gewannen einen behindertengerechten Caddy für ein Wochenende. Das auf behindertengerechte Fahrzeuge spezialisierte Autohaus Koch stiftete den Preis. Der von der RP befragte Kreis ließ ausrichten, man habe mit Fahrtkosten "nichts zu tun", sondern wickele im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland ab.

(RP)
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