Im Museum von Neukirchen-Vluyn Wurmkraut kostete nur zehn Pfennig

Neukirchen-Vluyn · Die ehemalige Drogerie Göschel ist Bestandteil des Heimatmuseums Neukirchen-Vluyn und birgt besondere Schätze.

 Apothekrin Ilona Stahlmann fand sich in der Museumsdrogerie sofort zurecht.

Apothekrin Ilona Stahlmann fand sich in der Museumsdrogerie sofort zurecht.

Foto: Norbert Prümen (nop)

In den Regalen der ehemaligen Drogerie Göschel stehen Exponate, die heute apothekenpflichtig sind. Ob Opiumtinktur oder Salicylsäure – Namen von Tinkturen, Essenzen und weiteren Stoffen sind auf den dickwandigen Flaschen zu sehen. Andere Gefäße enthalten entwässernde Heilkräuter wie Faulbaumrinde, Brennnessel oder Sennesblätter, wie die handgeschriebenen Aufkleber verraten.

„Das sind noch original die Heilkräuter der ersten Vluyner Drogerie, die die Geschwister Hans und Anni Göschel führten“, erläutert Museumsleiterin Jutta Lubkowski die Abteilung des Vluyner Museums. Im „Kolonialwarenladen“, Pastoratstraße 7, bot Gründer Wilhelm Göschel ab 1896 Waren an, die den Weg von Afrika aus über holländische Häfen nach Vluyn fanden. Aus dem Geschäft machte Sohn Hans die erste Drogerie am Platz. Sie gibt den Museumsbesuchern heute einen Einblick in die Arbeit des Drogisten, der früher mit nicht apothekenpflichtigen, gesundheitsfördernden Heilkräutern und ihren Tinkturen hantierte. Sogenannte anerkannte Naturwissenschaften gehörten neben der Gesundheitsberatung, Kosmetik und – ab 1930 – der Fotografie zum Betätigungsfeld des Drogisten, der seine Ausbildung mit einer Drogistenprüfung abschloss.

„In der Berufsbezeichnung steckt zwar der Begriff Droge, meint aber das Hantieren mit Heilkräutern jeder Art“, so die Museumsleiterin. Heilkräuter gehörten damals zu den Arzneidrogen, die ab 1872 in Drogerien verkauft werden durften. Mancher Vluyner fand bei Hans Göschel das heilende Kraut und dazu eine öffentliche Beratung. „Mein Vater musste als Junge Wurmkraut für zehn Pfennig kaufen“, erzählt Jutta Lubkowski. Damals fragte Drogist Hans Göschel laut und konkret nach, wer denn in der Familie Maas unter „Pieren“, sprich Würmern, leiden würde. „Diskretion kannte man damals eben nicht“, so Jutta Lubkowski. Hans Göschel mischte auch Tinkturen zur Kopfhautpflege, wie die verschiedenen Glasbehältnissen verraten. Für Apothekerin Ilona Stahlmann-Förster, Inhaberin die Grafschafter Apotheke am Leineweberplatz in Vluyn, ein spannender Augenblick und zugleich Zeitreise.

 Zum Teil werden Arzneien noch heute aus geprüften Zutaten individuell für einzelne Patienten hergestellt. Heilkräuter und Tinkturen erreichten in früheren Zeiten Vluyn über die niederländischen Seehäfen.

Zum Teil werden Arzneien noch heute aus geprüften Zutaten individuell für einzelne Patienten hergestellt. Heilkräuter und Tinkturen erreichten in früheren Zeiten Vluyn über die niederländischen Seehäfen.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Manche der Heilkräuter gehören heute ins Sortiment der Apotheke. Die Europäische Arzneimittelrichtlinie gab vor etlichen Jahren den Weg mit einer „Stoffliste“ zu Pflanzen und Pflanzenteilen mit ihrer pharmakologischen Eigenschaft vor und grenzte Arzneistoff und Lebensmittel voneinander ab. „Verschiedene Heilkräuter werden klar als Arzneimittel eingestuft. Das Angebot an so genannter loser Ware in Apotheken ist jedoch überschaubar“, sagt Ilona Stahlmann-Förster. Handwerk bleibt Handwerk, auch in Apotheken.

„Viele Gerätschaften werden immer noch zur Medikamentenherstellung gebraucht“, sagt sie beim Blick in die Vitrinen. „Wir haben anders als früher sehr strenge Auflagen, wenn wir im hauseigenen Labor aus geprüften Ausgangsstoffen für den Kunden nach Rezept Salben, Kapseln, Zäpfchen oder Mundspülungen wie Myrrhentinktur herstellen.“ Wichtige Gerätschaft bleibt die Gramm-genaue Waage, die allerdings immer weniger zum Einsatz kommt. „Fertige Arzneimittel gehen hauptsächlich über den Ladentisch, die entweder frei verkäuflich sind oder vom Arzt verordnet wurden“, so Ilona Stahlmann-Förster.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort