Im Museum von Neukirchen-Vluyn „Gut gebügelt ist halb genäht“

Neukichen-Vluyn · Das Museum in Vluyn zeigt lokale Textilgeschichte. Das Schneiderhandwerk ist ein Teilbereich.

 Damenschneiderin Franka Leuchtenberg erkundet die textilen Schätze des Heimatmuseums.

Damenschneiderin Franka Leuchtenberg erkundet die textilen Schätze des Heimatmuseums.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Vorsichtig nimmt Franka Leuchtenberg im Vluyner Museum das royalblaue, zweiteilige Seidenkleid aus der Biedermeierzeit in die Hände. „Ein tolles Gefühl. Solche Kleider muss man wie ein rohes Ei behandeln“, sagt die gelernte Damenschneiderin und äußert Respekt vor dem handwerklichen Arbeit aus dem Jahr 1835. Ihr Handwerk hat sie am Krefelder Theater von der Pike auf vor mehr als 20 Jahren erlernt. Die feinen Stiche inklusive der handgefertigten Knöpfe verraten reinste Handarbeit. „Allein das Nähen per Hand wird bei diesem Kleid mindestens eine Woche gedauert haben“, sagt sie mit Kennerblick.

Die schnelle Naht mit einer Industrienähmaschine ließ noch auf sich warten. Der Beruf des Schneiders wurde zwar geachtet, reich machte er noch nicht, wie die Redensart „Frieren wie ein Schneider“ andeutet. Beim figurbetonten Kleid sorgen schmale Korsettstangen für die schlanke Form, geben Stabilität und somit der Trägerin Körperhaltung. „Das Seidenkleid ist ein Originalstück und stammt aus einem Neukirchen-Vluyner Haushalt“, sagt Museumsleiterin Jutta Lubkowski über das gut erhaltene Exponat. Ähnlich aufwändig gearbeitete Kleider mit schmaler Taille zeigt die textile Museumsabteilung und verrät über die Mode jener Zeit viel und vor allem, „dass man zur guten Gesellschaft gehörte.

Kleider machen Leute. Seide galt als Kostbarkeit“, so Jutta Lubkowski mit Blick auf die Figurinen, die sich auf Knopfdruck zur Musik drehen. Anders als heute wurde solche Kleidung lediglich gebürstet, gelüftet und erst für den nächsten besonderen Anlass aus dem Schrank geholt. Anders so genannte Tageskleider, die drinnen wie draußen getragen wurden. Früher galt die geschnürte Taille mit beinahe kindhaftem Umfang als das Maß der Dinge und machte „die Frau zur Sklavin der Mode“, so Jutta Lubkowski.

Erst mit der Reformbewegung um 1920 verändert sich die Kleidung, das Schnürkorsett verschwindet. Die revolutionäre Mode von Coco Chanel steht noch bevor. Um noch mehr die Taille zu betonen, waren Hilfsmittel erlaubt, wie Franka Leuchtenberg ergänzt: „Frauen trugen unter dem Kleid sogenannte Hörnchen, die sie sich um die Hüfte banden, um die Weiblichkeit zu unterstreichen.“ Der Fachbegriff „Weiberspeck“ hat sich gehalten. „Diese Kleider nach historischen Vorlagen nähen wir am Theater nach Angaben der Gewandmeisterin bis heute. Zum Teil für Chöre ganze Chorsätze, die wir entsprechend auch immer wieder ändern können“, so Franka Leuchtenberg.

Der Blick in die Vitrine offenbart verschiedenste Handwerkszeuge, von der Schere über Elle bis zum Pfriem. Bis zur Reichsgründung 1871 hatte jedes Land eigene Maßeinheiten, auch das Maß der Elle variierte. „Je teurer der Stoff, desto kürzer die Elle“, sagt Jutta Lubkowski. Andere Handwerkszeuge sind bis heute im Einsatz. Mit einem Pfriem, damals meist aus Elfenbein, stach man Löcher in Stoffe oder weitete Löcher, ohne das Gewebe zu verletzen. „Mit dem Pfriem arbeite ich heute noch“, so Franka Leuchtenberg. Ein uraltes Handwerkszeug, von dem auch der Begriff „pfriemeln“ ableiten lässt. Alte Bügeleisen befinden sich in der Ausstellung. „Bügeln bleibt das A und O in der Schneiderei. Bis heute gilt, gut gebügelt ist halb genäht“, sagt Franka Leuchtenberg.

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