Nettetal Vergangene Rokal-Welt im Glasbild

Nettetal · Drei Kunstwerke von Hans Füsser wechseln vom einstigen Verwaltungsgebäude des Automobilzulieferers ins Lobbericher Krankenhaus. Betriebsratschef Wolfgang Tretbar rettet ein Stück Industriegeschichte.

 Die Übergabe von drei Glasfenstern des Hinsbecker Künstler Hans Füsser durch Pierburg-Vertreter Wolfgang Trebar (l.) und Personalvorstand Peter Sebastian Krause (2.v.l.) an Bürgermeister Christian Wagner und Christian Weisbrich (r.).

Die Übergabe von drei Glasfenstern des Hinsbecker Künstler Hans Füsser durch Pierburg-Vertreter Wolfgang Trebar (l.) und Personalvorstand Peter Sebastian Krause (2.v.l.) an Bürgermeister Christian Wagner und Christian Weisbrich (r.).

Foto: Busch

Die Schreibtische sind aus den Büros entfernt, die Räume liegen besenrein da, doch funktioniert noch der Lichtschalter. So erhellen zum letzten Mal Neonröhren drei Glasbilder von Hans Füsser, die im Treppenhaus des technischen Verwaltungsgebäudes auf halber Höhe zum ersten Stock seit über 60 Jahren anzeigen, was bei Rokal einst erzeugt worden ist. Nichts mehr davon ist geblieben, nachdem der Rokal/Pallas-Nachfolger Pierburg vor einigen Wochen die letzten Maschinen ins neue Werk Niederrhein im Neusser Hafen verlagert hat. Damit die Glasbilder, knapp 2,4 Meter hoch und 1,4 bzw. 0,9 Meter breit, nicht eines Tages in irgendeinem Altmaterialcontainer landen, hat Wolfgang Tretbar Kontakt mit der Stadt und dem Verkehrsverein Lobberich aufgenommen. Der Betriebsratsvorsitzende, mittlerweile konzernweit in dieser Position, traf auf offene Ohren, so dass die Bilder der Nachwelt erhalten werden und demnächst im Krankenhaus am Sassenfelder Kirchweg zu sehen sind.

Die Entstehungszeit der Glasbilder datiert Eva-Maria Willemsen in ihrem Aufsatz über Hans Füsser in dem 2008 erschienenen Band 6 der Reihe "Leben und Werk niederrheinischer Künstler" auf die Jahre 1950 und 1951. Wolfgang Tretbar hingegen meint, dass der technische Verwaltungsbau erst 1954 errichtet wurde ("Ich habe die Zeichnungen vor der Mülltonne gerettet"), und interpretiert deshalb die Umrisse eines hellbeigen D-Zuges im mittleren Bild als die Darstellung des Zuges der Fußballweltmeister, den die Rokal-Eisenbahnabteilung nach dem Triumph in Bern auch en miniature produzierte. Dagegen erläutert die Kunsthistorikerin ganz nüchtern, dass Eisenbahn und Schiff (unten auf dem Bild) für Transportmittel der Rokal-Erzeugnisse stünden.

Wie dem auch sei: Tretbars Erklärung ist für die Lobbericher viel schöner. Auf dem linken Flügel sind zwei Gießer zu sehen, die rot flüssiges Metall in eine Form schütten; oben sind ein Mann und eine Frau an einer Stanzmaschine dargestellt. Auf dem mittleren Bild, das etwas schmaler ist, sieht man oben einen Konstrukteur am Zeichenbrett, in der Mitte einen Arbeiter an der Presse und unten einen Logistiker für Rohstoffzufuhr und Versand. In einem geschwungenen Band werden eine Eisenbahn, ein Vergaser und ein Wasserhahn dargestellt, Sinnbild für die Rokal-Produktionszweige. Im rechten Flügel steht oben ein Mann am Bohrwerk, nebenan bearbeitet ein Lehrling mit einer Feile ein Werkstück. In der Mitte und unten bedient ein Dreher eine große Maschine. "Alle sind ganz auf ihre jeweilige Aufgabe im Produktionsprozess konzentriert", schreibt Willemsen. Füssers Entwürfe wurden von der Linnicher Spezialfirma Dr. H. Oidtmann in Glas, Bleiruten und Schwarzmalerei umgesetzt.

Der damalige Firmenchef Robert Kahrmann schätzte Füssers Zeichentalent auch für die Werbung für die Modelleisenbahn im TT-Format - einst die kleinste Bahn. Er gab zahlreiche Zeichnungen in Auftrag, die auf humorvolle Weise die Vorzüge und Anziehungskraft der Mini-Bahn schilderten, die sich gegen die Großen der Branche, Märklin und Fleischmann, durchsetzen musste. Füsser, 1898 in Düsseldorf geboren und 1938 mit seiner Familie nach Hinsbek-Hombergen umgezogen, arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg zwar meist für Auftraggeber an Rhein und Ruhr, doch galt der Prophet in seinem Fall auch im eigenen Umfeld.

Mit einem Händedruck zwischen Bürgermeister Christian Wagner und Peter Sebastian Krause, dem Personalvorstand der Kolbenschmidt Pierburg AG, wurde die Übergabe der Fenster offiziell besiegelt. Krause wertete die Entscheidung, das Werk Lobberich nach Neuss zu verlagern, als "richtig, um international wettbewerbsfähig zu bleiben". Nach seinem Eindruck sind die Mitarbeiter aus Neuss und Lobberich inzwischen "zu einer stärkeren Gemeinschaft zusammengewachsen". Pierburg hatte allen zuletzt 380 Mitarbeitern die Übernahme in Neuss angeboten, nur wenige haben dies ausgeschlagen.

Was mit den nun leerstehenden Gebäuden geschieht, wird mit der Stadt Nettetal beraten. Der Bereich gilt weiter als Industriegebiet (in Hallen der früheren Rokal-Armaturen ist der Textilhersteller Pile Fabrics tätig). "Wir sind im Gespräch mit Pierburg und wollen ein Büro beauftragen, das Pläne entwickelt", sagte Nettetals Wirtschaftsförderer Dietmar Sagel.

(RP)
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