Nettetal Seidenbarone standen Pate

Nettetal · Wenn der Teppichbodenhersteller Longlife seinen Betrieb stilllegt, geht eine gut 200-jährige Tradition der Textilherstellung in Lobberich zu Ende. Ein Rückblick auf ein Stück Industriegeschichte.

Geht es streng nach den Eintragungen des Handelregisters, dann ist die Longlife Teppichboden Berndt Cleven GmbH & Co. am 1. Januar 1926 ins geschäftliche Leben getreten, damals unter "Krey & Cleven". Doch Berndt Cleven, der im Herbst 2008 im Alter von 88 Jahren verstorbene Seniorchef, ortete die Wurzeln des Unternehmens viel tiefer bei den Krefelder Seidenbaronen, die um das Jahr 1800 dem französischen Kaiser Napoleon ihre Aufwartung machten.

Aus jener Zeit stammt die Firma "Pollems & Lingenberg" in Krefeld, die später in Krey & Cleven aufging, ebenso die "Samt- und Seidenfabrik Lobberich". Als Wiege des Unternehmens gilt auch die Färberei Schöpp an der Bleichstraße, später "Durst & Krey Nachfolger". Dazu kam nun Johannes Cleven. In "Krey & Cleven" ging auch die Firma Weinsheimer/Kochen ein, in die Josef Krey 1919 eingetreten war. Zum Gesellschafterkreis gehörte ein gutes Jahrzehnt Dr. Dietrich Girmes, der nach dem Zweiten Weltkrieg eigene Wege ging, um dann an den Girmes-Konzern zu verkaufen. Die Familie Krey schied nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Das Unternehmen übernahm an der Bahnstraße (heute Niedieckstraße) die Gebäude des Krawattenherstellers Birgelen.

Textilindustrie ab 1802

Aktenkundig hat die Lobbericher Textilindustrie 1802 mit der Samtbandfabrik Heithausen begonnen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie von den Firmen de Ball, van der Upwich und Niedieck beherrscht. Bei Niedieck wurde um 1880 der erste ganzmechanische Webstuhl in Betrieb genommen, der einen großen Wettbewerbsvorteil bescherte. Von Krisen blieb Niedieck nicht verschont: Mitte der 1920er-Jahre flüchtete das Unternehmen unter den Schirm der Girmes AG in Oedt. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte Niedieck in seinen besten Jahren 1970/75 über tausend Mitarbeiter. Damals wurde auch die Weberei Weyer & Lentz übernommen.

Nach der Insolvenz von Niedieck und Girmes vor fünf Jahren schienen die Aussichten für Longlife günstig, zumal das Unternehmen für seine Produkte zahlreiche Design-Auszeichnungen erhielt. Doch macht die jetzige Wirtschaftskrise gerade im Objektbereich einen Strich durch die Rechnung. In den 1960er-Jahren hatte man mit einem Riesenobjekt punkten können: Longlife stattete das Gebäude des Afrikanischen Nationalkongresses in Addis Abeba mit 7000 Quadratmeter Teppichboden aus. Karl-Heinz Haumer, damals 17 Jahre alt, begleitete seinen Vater, "weil ich als einziger Englisch konnte", und sprach mehrmals mit König Haile Selassie. Die Lobbericher beendeten die Teppichbodenverlegung drei Tage früher als vereinbart.

(RP)
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