Nettetal Queen kam über Hinsbeck ins Fernsehen

Nettetal · Die Stammenmühle diente im Jahr 1953 als Relaisstation zur Übertragung der Krönung Elisabeth II. Mit 88 Metern über dem Meeresspiegel bildet die Honschaft Büschen den höchsten Punkt zwischen London und Köln.

Bei der Übertragung der Feierlichkeiten zur Krönung Queen Elisabeth II.1953 spielte die Hinsbecker Stammenmühle eine wichtige Rolle. Hierüber berichtete VVV-Mitglied Ralf Hendrix bei einem Vortrag in Aachen vor rund 150 Mühlenliebhabern aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden.

Prinzessin Elisabeth weilte 1952 bei einem Staatsbesuch in Kenia, als sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters König George VI. erreichte. Noch am Todestag wurde Elisabeth zur Königin proklamiert, die Krönung fand am 2. Juni 1953 in der Westminster Abbey statt. Die glanzvolle Zeremonie wurde zu einem Medienereignis und Meilenstein in der europäischen Fernsehgeschichte. Erstmals wurde eine Krönung live übertragen, Elisabeth persönlich äußerte den Wunsch, Kameras zuzulassen. Diese europaweite Direktübertragung dauerte von 10.30 bis 17 Uhr und wurde zum ersten Gemeinschaftsprojekt der 1950 gegründeten "Europäischen Rundfunkunion", aus der 1954 die "Eurovision" hervorging.

Doch ehe die Bilder der prunkvollen Zeremonie in ganz Europa empfangen werden konnten, mussten etliche technische Probleme gelöst werden. Damals gab es noch keine Leitungsverbindungen zwischen den Staaten, und Satelliten kamen höchstens in den Träumen der Techniker vor. Zudem gab es in Europa verschiedene Fernsehsysteme, sodass die Bilder mehrfach neu abgetastet und umgewandelt werden mussten, was auch die schlechte Bildqualität erklärt.

Um die großen Strecken zu überwinden, baute man europaweit Richtfunkstrecken und Relaisstationen auf, von denen aus die umgewandelten Bilder in die Leitungsnetze der einzelnen Länder eingespeist wurden. Für Deutschland kam hier die Stammenmühle in Hinsbeck-Büschen ins Spiel. Mit 88 Metern über dem Meeresspiegel bildet die Honschaft Büschen nämlich den höchsten Punkt zwischen London und Köln. Seit dem Jahre 1854 steht hier weithin sichtbar die Stammenmühle. Diese exponierte Lage machte sich ab circa 1951 auch die Firma Philips zunutze, die unter dem Dach der Mühle eine Fernsehversuchsstation einrichtete und hier mit Richtfunk und anderem experimentierte.

Am 8. März 1951 fand von hier aus der erste geregelte Fernsehempfang im Kreisgebiet statt. Das Medium Fernsehen befand sich noch in den Kinderschuhen, erst im Juni 1950 wurde die ARD gegründet, und am 25. Dezember 1952 nahm der NWDR (Vorläufer des WDR) seinen Regelbetrieb auf. Ein halbes Jahr später übertrug der NWDR die Feierlichkeiten aus London. Unter anderem kamen über die Relaisstationen Dover (England), Breda und Helenaveen (Niederlande) die Signale nach Hinsbeck, wo sie von einem 40-Meter-Antennenmast bei den "Vierlinden" auf den Hinsbecker Höhen aufgefangen wurden (neben der Jugendherberge, dort wo heute der große Funkturm steht).

Dieser Mast mit Hohlspiegeln und Dipol-Achterfeld wurde am 20. Mai 1953 eigens für die Übertragung provisorisch errichtet. Ein kürzlich in den USA gefundenes Foto zeigt die Anlage am Tag des Aufbaus. Im Umfeld des Mastes waren vier Übertragungswagen positioniert, die die Signale aufbereiteten und für das westdeutsche Fernsehnetz kompatibel machten. Von hier aus gelangten die Bilder über die Relaisstationen Hinsbeck-Stammenmühle und Wuppertal nach Köln. Über diverse Verteilerpunkte erfolgte die Einspeisung in das gesamte Westdeutsche Netz.

In das Kölner Studio führten auch zwei Tonleitungen: Eine übertrug die Originalgeräusche, die andere den Ton der Kommentatoren der englischen Fernsehsendung. Das deutsche Team Hermann Rockmann, Udo Langhoff und Werner Baecker kommentierten vom Hochhaus am Kölner Hansaplatz aus, was sie auf dem Bildschirm sahen, oder wiederholten, was ihnen in Englisch vorgesprochen wurde.

Am Freitag, 29. Mai, um Punkt 21.42 Uhr wurden die ersten Bilder vom Alexander-Place in London gesendet und trafen mit einer kleinen Zeitverzögerung in Hinsbeck ein. Insgesamt wurde an den folgenden Tagen elf Stunden live berichtet. Postrat Gerhard Schütt vom Fernmeldetechnischen Zentralamt der Bundespost in Darmstadt und Oberingenieur Ehlers vom NWDR waren als Verantwortliche in Hinsbeck "sehr zufrieden" mit dem Ablauf. Zur Belohnung gab es nach der siebenstündigen Marathonübertragung der Krönungsfeier abends im Restaurant-Hotel Josten für alle Mitarbeiter Spargel mit Schinken.

Über diese provisorische "Fernsehbrücke" sahen nun zum ersten Mal in der Geschichte Millionen Menschen den mittelalterlichen Pomp und Prunk einer Krönung. In Bonn saßen Bundeskanzler Konrad Adenauer und die Kabinettsmitglieder vor dem Fernsehgerät. Mindestens 20 Millionen Menschen verfolgten europaweit den Ablauf der Zeremonie an Heimgeräten, an Projektionstruhen in Gaststätten, Radiogeschäften und Warenhäusern sowie in Kinosälen. Damit auch die Amerikaner schnellstens in den Genuss der Krönungsbilder kamen, brachen zwei Canberry-Bomber und ein zum Filmstudio umgewandeltes Stratosphärenflugzeug mit Filmmaterial nach Kanada und New York auf. Die dortigen Wochenschaukinos konnten wegen der Zeitverschiebung noch am Dienstagabend erste Bilder zeigen.

(heko)
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