Wechsel an Klub-Spitze in Nettetal Warum Sportvereine immer schwerer Ehrenamtler finden

Nettetal-Kaldenkirchen · Ein Team betreuen, eine Jugendgruppe begleiten, im Vorstand arbeiten – Sportklubs haben Probleme, Menschen zu finden, die dazu bereit sind. Was Paul Schrömbges, scheidender Vorsitzender des TSV Kaldenkirchen, über mögliche Gründe sagt.

Paul Schrömbges war 16 Jahre lang Vorsitzender des TSV Kaldenkirchen. In wenigen Tagen will der 69-Jährige bei den Neuwahlen nicht mehr kandidieren.

Paul Schrömbges war 16 Jahre lang Vorsitzender des TSV Kaldenkirchen. In wenigen Tagen will der 69-Jährige bei den Neuwahlen nicht mehr kandidieren.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Die mehr als 1800 Mitglieder des TSV Kaldenkirchen müssen sich einen neuen Vorsitzenden suchen. Paul Schrömbges, der das Amt 16 Jahre innehatte, wird sich bei der Jahreshauptversammlung des Klubs am 16. Juni nicht mehr zur Wahl stellen. „Man muss gehen, bevor aus Respekt Mitleid wird“, sagt der 69-Jährige. Ein Wechsel an der Spitze eines Vereins ist an sich nichts Ungewöhnliches. Ob am 16. Juni ein Nachfolger kandidiert, muss sich freilich noch zeigen. Nach Schrömbges schon 2022 angekündigten Verzicht auf eine weitere Kandidatur lasen die Mitglieder zumindest im Mai in der Einladung zur Jahreshauptversammlung noch: „Der Vorstand hat in den vergangenen Monaten bislang vergebens versucht, eine/n Nachfolger/in zu interessieren.“

Jemanden zu finden, der zu ehrenamtlichem Engagement bereit ist, gestaltet sich offenbar nicht nur auf der Ebene eines Vorstandsamtes zunehmen schwierig. Schrömbges sieht darin ein Problem, das auch andere Vereine haben. „Die Zahl der Mannschaften beim Westdeutschen Handballverband zwischen 2019 und 2022 ist um über acht Prozent reduziert. Gleiches gilt und noch deutlicher für den Fußballverband Niederrhein“, sagt der scheidende Vorsitzende und fügt hinzu: „Der Mannschaftssport ist im Kinder- und Jugendbereich in einer Dauerkrise. Man schaue sich die Jugendabteilungen in Nettetal an, immer mehr Spielgemeinschaften, immer weniger Mannschaften, und vor allem immer weniger ehrenamtliche Betreuer. Ähnliches gilt auch für den Senioren- und Alt-Herren-Sport.“

Einen Grund dafür sieht der 69-Jährige in der Gemütslage der Gesellschaft: „Wir sind eine Freizeitgesellschaft, in der man vor allem individuell und nach eigenem Terminkalender Sport treibt.“ Der fehlende Wille, Zeitmangel und womöglich auch Risikoscheu tragen seiner Meinung nach ebenfalls dazu bei, dass es schwieriger wird, Mitstreiter zu finden, die Verantwortung übernehmen.

Dabei ist beim TSV der Bedarf an Betreuern und Trainern sogar gewachsen. Vor drei Jahren war der Klub bei weniger als 1600 Mitgliedern angelangt, inzwischen sind es laut Schrömbges wieder mehr als 1800. Das Problem sei derzeit also nicht vorwiegend, neue Sportler zu gewinnen, sondern Betreuer und Übungsleiter. Schrömbges nennt folgendes Beispiel für den Bedarf, der so schnell entsteht: „Eine Fußballjugendmannschaft benötigt zwei Betreuer und für die Fahrten zu Spielen fünf Eltern, also sieben Personen, die bereitstehen, um den Sport zu ermöglichen.“

Ehrenamtler im Breitensport werden aber durch eine zunehmende Kommerzialisierung im Sport vernachlässigt, findet Schrömbges: „Man betrachte die neue Werbung des DFB für Kinder im Fußball, wohl als Ressourcensicherung gedacht. Kein Wort über die ehrenamtlichen Betreuer und Trainerinnen und Amateurvereine, gezeigt werden im Bild First-Class-Sportplätze. Wer in der vornehmen DFB-Zentrale sitzt, hat den Blick für die Realität des Amateursports offensichtlich verloren. Die Herren sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Dafür stimmt die aktuelle Kontenlage.“

Schrömbges gehörte im September 2022 zu den Unterzeichnern eines Briefes, mit dem sieben Nettetaler Sportvereine Stadtverwaltung und Parteien eindringlich um finanzielle Unterstützung bei den gestiegenen Energiekosten baten. Die Angesprochenen haben reagiert und auch bei der Umrüstung der Flutlichtanlagen auf Nettetaler Sportplätzen hilft die Stadt. Gleichwohl: Es gibt auch für Schrömbges Nachfolger mit finanziellen Fragen verbundene Aufgaben, die zu lösen sind. Beispielsweise die Tartanbahn, die sich der Verein schon lange für seinen Sportplatz wünscht.  „Kein Sportler in Nettetal trainiert auf einer Sportanlage von 1950, nur die Kaldenkirchener Leichtathleten und Schüler“, sagt Schrömbges.  Und prophezeit: „Die Planungen werden von uns vom TSV viel Mut und Kraft kosten und benötigen einen langen Atem: in diesem Jahr die Grundlagen, im nächsten Jahr folgt Sportstättenplanung, dann folgen die Kommunalwahlen und die Haushaltsberatungen, vor 2026 ist mit einer Umsetzung in Nettetal nicht zu rechnen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort