Nettetal Mit 13 Jahren durch zwölf Länder

Nettetal · Im ehemaligen Pfarrhaus in Lobberich betreut die evangelische Jugend- und Familienhilfe zehn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das Jugendamt der Stadt ist derzeit für 32 minderjährige Asylsuchende zuständig.

 Es war ein weiter Weg bis ins ehemalige Pfarrhaus in Lobberich. Auf einer Karte zeigen zwei Jugendliche, hier mit Koordinatorin Simone Wagner-Breuer, auf welchem Weg sie nach Deutschland gelangten.

Es war ein weiter Weg bis ins ehemalige Pfarrhaus in Lobberich. Auf einer Karte zeigen zwei Jugendliche, hier mit Koordinatorin Simone Wagner-Breuer, auf welchem Weg sie nach Deutschland gelangten.

Foto: Joachim Burghardt

Einige Jugendliche liegen in ihren Betten. Sie seien völlig erschöpft, sagt Simone Wagner-Breuer. Andere hingegen sind schon halbwegs angekommen. Sie grüßen freundlich, halb auf Englisch, halb auf Deutsch. "Welche Gefahren und Entbehrungen manche Kinder auf ihrer Flucht auf sich nehmen mussten, das können wir uns kaum ausmalen", sagt Wagner-Breuer. Als Koordinatorin der Angebote für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UmF) der evangelischen Jugend- und Familienhilfe hat sie mit solchen Schicksalen täglich zu tun. Und das jetzt auch in Lobberich: Im ehemaligen Pfarrhaus der evangelischen Kirchengemeinde werden zehn junge Flüchtlinge betreut.

Dass sie dort wohnen können, ist Elke Langer zu verdanken. Die neue Pfarrerin der Kirchengemeinde Lobberich-Hinsbeck zog nicht ins Pfarrhaus, sondern bezog ein Zimmer im Gemeindehaus. "Das hätte ich als unethisch empfunden, für mich allein 220 Quadratmeter zu beanspruchen. Die Räumlichkeiten kann man besser für was Sinnvolles vermieten", erklärt sie.

So bot Ende 2015 der damalige Presbyter Wolfgang Niederbröcker der Stadt das Haus für die Unterbringung von Flüchtlingen an. Dem Leiter des Nettetaler Jugendamts, Jochen Müntinga, kam das Angebot der Kirchengemeinde gerade recht: "Anders als bei Erwachsenen müssen minderjährige Flüchtlinge ständig betreut werden. Dazu sind wir als Kommune verpflichtet, dafür brauchen wir geeignete Räumlichkeiten", sagt Müntinga. Mit der Familienhilfe, die in der Region unter anderem das "Clearinghaus Viersen Fluchtpunkt" unterhält, war schnell ein Träger gefunden, mit dem man "schon länger in Sachen Betreuung von Flüchtlingen und Flüchtlingskindern gut und vertrauensvoll zusammenarbeitet", so Müntinga.

"Wir haben das Haus saniert und neu hergerichtet", berichtet Detlef Wiecha, Geschäftsführer der Familienhilfe. Die Zimmer der Jugendlichen sind nun schlicht und zweckmäßig, aber hell und freundlich eingerichtet, ebenso die Aufenthalts- und Besprechungsräume, die Küche und das Büro. "Wir sind froh, diese Einrichtung benutzen zu können", sagt Wiecha.

Insgesamt ist die Stadt derzeit für 32 minderjährige Flüchtlinge zuständig, was Müntinga zufolge genau der Quote für eine Kommune von der Größe Nettetals entspricht. Zehn dieser Kinder werden nun von Mitarbeitern der Familienhilfe im ehemaligen Pfarrhaus an der Steegerstraße betreut. Hauptaufgabe ist es, die Kinder aufzubauen, auf Integration und eine mögliche Ausbildung vorzubereiten. Dabei ist man auf Kooperationen angewiesen, sagt Wagner-Breuer: Die Deutschkurse etwa finden in Räumen der Pfarrgemeinde St. Sebastian statt.

Was manch ein Kind durchmachen muss, schildert Wagner-Breuer am Beispiel eines 13-Jährigen aus Afghanistan, der in einer Einrichtung der Familienhilfe lebt. Der Vater habe für die US-Streitkräfte gearbeitet. Er sei offenbar von der Terrormiliz der Taliban entführt, die Familie bedroht worden. Verwandte wollten wenigstens den Jungen durch Flucht in Sicherheit wissen, beauftragten Schlepper. Acht Monate sei er unterwegs gewesen, sei über Berge geklettert, habe sich in Höhlen versteckt, habe Todesängste ausgestanden. Zwei Mal habe er erleben müsse, wie andere Flüchtlinge ums Leben kamen. Seine Odyssee führte ihn durch zwölf Länder, über rund 12.000 Kilometer schließlich nach Deutschland. Hier ist er in Sicherheit, doch die Sorge um die Verwandten bleibt. Die letzte Nachricht aus dem Heimatdorf lautete, die Familie sei "verschwunden".

(jobu)
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