Nettetal Klönen, Rocken und Flanieren

Nettetal · Beim 5. Kaldenkirchener Kneipenfestival hatten die musikalischen Nachtschwärmer aller Generationen großen Spaß am stilistisch vielfältigen Musikangebot. Die Nettetaler Rockinitiative schaffte ein kleines Kunststück.

Um ein Uhr nachts ist es im "Tach!" soweit: Quittiert vom begeisterten Kreischen der weiblichen und anfeuernden Jubel der männlichen Fans hat sich Bassist Keith Picot von der kanadischen Blues- und Rockabilly-Band "The Twisters" endgültig seines Hemdes entledigt. Hier im brodelnden Hexenkessel der Blues- und Biker-Kneipe scheint der Mann im einige Stunden zuvor perfekt gestylten Fünfzigerjahre-Outfit und der kecken Stirnlocke á la Superman kurz vor der Explosion zu stehen. Auch am Arbeitsgerät ist die offensive Spielweise seines Besitzers nicht spurlos vorübergegangen, erinnert die Oberfläche des Kontrabasses mit vernarbten Stellen, an denen teilweise das rohe Holz zum Vorschein kommt, frappierend an ein verlebtes Schulpult aus den Siebzigerjahren.

Kompromisslos nach vorne

Früher am Abend im "Quartier Latin": Die Low-Tuned Metaller von Brasch feuern den musikalischen Startschuss ab. In überzeugender Manier und gewissermaßen stellvertretend für das Kneipenfest, demonstriert die Band das Erfolgsrezept dieser Nacht. Mit viel Spaß an der Sache kompromisslos nach vorne gehen, Druck aufbauen und das Publikum mitnehmen. Dies gelingt im "Alten Brauhaus", mit ganz anderen musikalischen Mitteln, auch dem Acoustic-Rock-Duo 2Gether. Die erstaunlich vielseitige junge Sängerin Tannilia und ihr musikalischer Partner J.B. Vox an der Rhythmusgitarre begeistern mit unplugged-Versionen beliebter Rock- und Pop-Klassiker. Da kommt trotz stimmungstötender Energiespar-Beleuchtung bisweilen regelrecht Gänsehaut-Atmosphäre auf. Ebenso umjubelt: der Auftritt von Boobylicious im proppenvollen King's.

Vor dem "Convent" ist eine lebhafte Diskussion im Gange: "Also, der Sänger ist ja wohl komplett verrückt, aber die spielen richtig gut, finde ich..." – "Nee, viel zu laut!". Die kleine Clique, die da so angeregt diskutiert, entspricht mit einem Durchschnittsalter von um die Vierzig eindeutig nicht der Klientel, die normalerweise die Veranstaltungen hier im Jugendheim-Keller besucht. So kommt die Punkband Bitter Orange aus Osnabrück zu der seltenen Gelegenheit, ihre erfrischende, musikalisch überraschend vielfältige und spieltechnisch präzise Interpretation von Oldschool-Punk einmal einem interessierten Publikum der Elterngeneration zu präsentieren.

Die Situation verdeutlicht nicht zum einzigen Mal an diesem Abend eine der großen Stärken des Kneipenfestivals. Mit einem stilistisch breit angelegten Musikprogramm schaffen die Macher von der Nettetaler Rockinitiative Nero das kleine Kunststück, drei Generationen zu mobilisieren. Da rockt der Biker-Opa vor der Bühne mit der Enkelin von der Girlie-Fraktion.

(RP)
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