Nettetal Kind bleibt man sein Leben lang

Nettetal · Unter dem Namen Felix bietet das Lobbericher Netzwerk für Kinder psychisch kranker Eltern Beratung und Hilfen im Kreis Viersen an. Initiatorin Kerstin Seidel berät Schulen und Kindergärten.

 Kerstin Seidel (rechts) hat das Sozialpsychiatrische Zentrum der Arbeiterwohlfahrt in Lobberich ins Leben gerufen. Helena Kiehle, die lieber unerkannt bleiben möchte, gehört zu denjenigen, die die Hilfen in Anspruch nehmen.

Kerstin Seidel (rechts) hat das Sozialpsychiatrische Zentrum der Arbeiterwohlfahrt in Lobberich ins Leben gerufen. Helena Kiehle, die lieber unerkannt bleiben möchte, gehört zu denjenigen, die die Hilfen in Anspruch nehmen.

Foto: Burghardt

Eine unbeschwerte Kindheit bleibt für manche Mädchen und Jungen ein Wunschtraum: "Bei ihnen prägen Ängste und Auffälligkeiten die Kindheit, weil ein Elternteil oder beide Eltern psychisch krank sind", erklärt Kerstin Seidel. Hilfe bekommen Betroffene bei Felix, dem Netzwerk für Kinder psychisch kranker Eltern. Initiatorin Seidel vom Sozialpsychiatrischen Zentrum der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Lobberich: "Darunter sind Kinder aus allen sogenannten sozialen Schichten."

Die Verunsicherung ist groß bei betroffenen Jungen und Mädchen: "Ich habe einfach Angst, dass ich genau so werde wie meine psychisch kranke Mutter", gibt zum Beispiel Helena Kiehle zu. Ihre Mutter leidet unter Psychosen und Schizophrenie, steht mitunter einfach nur da wie unbeteiligt — meist ausgerechnet dann, wenn Helena Zuneigung braucht, in den Arm genommen werden möchte. "Ich dachte immer, ich muss das ausgleichen, ein besonders starkes Kind sein", erzählt Helena. "Das ist meist der Fall, wenn ein Elternteil psychisch krank ist", hat Kerstin Seidel oft erfahren, "Mädchen sind eher in sich gekehrt, demonstrieren aber nach außen Stärke, fühlen sich verantwortlich, Jungen werden unsicher, nicht selten aggressiv." Viele behalten als Erwachsene diese Verhaltensmuster bei, scheitern, brauchen Hilfe.

Auch Helena, mittlerweile fast erwachsenen, bekommt Hilfe von Felix, nimmt etwa an Gruppengesprächen teil: "Es kann nur gut tun zu spüren, dass ich nicht allein mit meinen Erfahrungen bin." Wenn sie erzählt, spricht sie leise, spielt mit den langen Haarsträhnen, schaut verlegen aus dem Fenster: "Es fällt mir immer noch schwer, offen darüber zu reden." Darüber, dass sie sich zerrissen fühlt, weil sie ihren Weg gehen will und sich gleichzeitig für ihre Mutter verantwortlich fühlt. Helena Kiehle ist nicht ihr richtiger Name, sie möchte anonym bleiben: "Ich bin ja auch in Therapie, das geht keinen was an."

Therapien vermitteln, das ist eine der Möglichkeiten, die Felix bietet — für immer mehr Jungen und Mädchen: "Wir gehen von rund 2000 betroffenen Kindern im Kreis Viersen aus", stützt sich Awo-Geschäftsführer Bernd Bedronka auf Untersuchungen; die Dinkelziffer sei wohl viel höher. Auffällig zudem laut Seidel: "Ein Großteil der Erwachsenen, die psychiatrisch behandelt werden müssen, hat psychisch kranke Eltern."

Das Netzwerk arbeitet mit anderen Organisationen, Ärzten, und Kliniken zusammen, berät Kindergärten und Schulen, bietet Hilfen an, organisiert Elterntreffs und Freizeiten für betroffene Kinder. Seidel: "Es ist so wichtig, dass diese Kinder auch mal unbeschwerte Tage erleben." In der Praxis hat Seidel häufig mit Müttern zu tun, deren Eltern oder Elternteile psychisch krank sind: "Wenn diese Frauen mit ihren Kindern überfordert sind, beraten wir, vermitteln bei Bedarf konkrete Hilfen."

Auch Helena Kiehle hat schon ein eigenes Kind: "Darum bin ich für die Unterstützung durch Felix dankbar, mein Kind soll es besser haben als ich in meiner Kindheit." Unsicher werde sie, wenn sie sich in manchen Situationen mit ihrer Mutter vergleiche. Für Kerstin Seidel nicht verwunderlich: "Man bleibt ja sein Leben lang Kind seiner Eltern."

(jobu)
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