Supermarkt-Schließungen in NRW Des Kaiser's letzte Tage

Die Kaiser's-Filiale in Nettetal-Schaag steht vor dem Aus - wie 25 andere in der Region. Edeka sollte eigentlich übernehmen, aber daraus wird wohl nichts. Mitarbeiter und Anwohner sind ratlos. Ist der Supermarkt dicht, wissen gerade die alten Leute nicht mehr, wo sie einkaufen sollen.

Diese Kaiser's-Filialen werden offenbar geschlossen
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Foto: Heif

Später Vormittag im Kaiser's am Hubertusplatz in Schaag: An der Wursttheke wird gescherzt, zwei Damen unterhalten sich in der Obst- und Gemüseabteilung, eine Frau fragt einen Mitarbeiter nach ihrer Lieblings-Joghurtsorte. Aus den Lautsprechern dudeln leise Popschnulzen.

Eine andere Mitarbeiterin bestückt gerade die Haribo-Regale. "Ach hören Sie auf", sagt sie auf die Frage, ob der Laden wirklich schließen muss, und winkt ab. "Wir wissen seit zwei Jahren, dass sich hier etwas ändern soll. Aber wir machen normal weiter. Es bringt ja nichts, sich verrückt zu machen." Mehr möchte sie auch nicht sagen. Keiner weiß, was mit dem Laden passieren wird.

Die Adresse "Hubertusplatz 16" in Nettetal-Schaag steht auf einer Liste der vom Aus bedrohten Filialen, die die "Bild am Sonntag" kürzlich veröffentlichte. Schaag gehört zur Stadt Nettetal im Kreis Viersen, kurz vor der niederländischen Grenze. Der Laden steht wie knapp 25 andere Filialen in der Region für einen Streit, der sich schon seit ein paar Jahren hinzieht. Der Supermarktriese Edeka wollte dem Mülheimer Kaiser's-Tengelmann-Konzern die Kaiser's-Kette komplett abkaufen. Doch das Oberlandesgericht in Düsseldorf hat die Fusion untersagt: Bundeswirtschaftsminister Gabriel hatte den Deal per Ministerentscheid gebilligt, aber das passte dem Konkurrenten Rewe nicht. Der klagte und gewann — vorerst.

Jetzt liegt der Fall vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Mitte November will der sich dazu äußern. Aber so lange kann Kaiser's Tengelmann wahrscheinlich nicht warten. Millionenverluste sind in diesem Jahr zu verbuchen. Letztlich bleibt nur, die Filialen zu schließen. In der Aufsichtsratssitzung am Freitag soll darüber geredet werden, ob 80 Filialen in NRW geschlossen werden. 3000 von 4000 Arbeitsplätzen stehen auf dem Spiel. Auch der der Kaiser's-Mitarbeiterin, die die Haribo-Regale einräumt und sich ansonsten nicht beeindrucken lässt von dem Gezerre der Großen.

Ob tatsächlich und wann genau die Schließung des Marktes in Schaag droht, ist noch nicht bekannt. Draußen vor der Schiebetür schließt eine Rentnerin gerade ihr Fahrrad ab. Sie weiß auch nicht, was werden soll, wenn es den Supermarkt nicht mehr gibt. Sie müsste dann mit dem Fahrrad in den nächsten Ort fahren, nach Breyell oder weiter nach Lobberich. "Bei schönem Wetter geht das ja noch, aber wenn es jetzt kühler wird, ist das auch vorbei", sagt sie und geht in den Supermarkt.

Schaag hat knapp 3800 Einwohner, der Nachbarort Breyell ist etwa zwei Kilometer entfernt. In Breyell gibt es nur "Netto" und "Aldi". Der nächste Supermarkt mit einer Wursttheke ist in Lobberich, fünf Kilometer wären das.

Draußen auf dem Hubertusplatz ist heute Markttag, es gibt einen Stand mit frischem Obst und Gemüse und einen Stand mit frischem Fleisch und Fisch. Marianne Esser schiebt ihren Rollator über das Pflaster. Renate Portz, die selbst zwei- bis dreimal die Woche bei Kaiser's einkauft, freut sich: "Marianne, kommst du auch zum Einkaufen?" Der Hubertusplatz ist das Herz des Ortes, hier treffen sich die Alteingesessenen für einen Plausch.

Marianne Esser ist 82 Jahre alt, sie kann kein Auto mehr fahren. Mit ihren Händen kann sie die Gangschaltung nicht mehr bedienen. "Für mich wäre es schlimm, wenn der Kaiser's dicht macht", sagt sie. Mit ihrem Mann hat sie viele Jahre ein Elektrogeschäft auf dem Grundstück hinter der Kaiser's-Filiale betrieben. Als der Laden vor einigen Jahren umgebaut und erweitertert wurde, hat das Ehepaar das Grundstück verkauft. "Da war früher mein Garten", sagt Esser und deutet auf die Schiebetüren.

Vor allem die alten Leute werden den Supermarkt vermissen

Alle sind sich einig: Vor allem für die Alten wird es schwierig, wenn der Supermarkt verschwindet. "Ich müsste dann immer jemanden anrufen, wenn ich zum Einkaufen möchte", sagt Esser. "Ich bin dann einfach nicht mehr so flexibel, es hat ja auch nicht immer jemand Zeit, mich zu fahren." Außerdem würde der Ortskern veröden, sagt eine andere Dame. "Hier wäre sonst nichts mehr los."

Auch die Politik hat das Problem erkannt. Die Ortsvorsteherin Renate Dyck (SPD) hat bei der Stadtverwaltung interveniert. Auch im Rathaus will man alles dafür tun, dass der Markt bleibt. Bürgermeister Christian Wagner (CDU) hat sogar einen Brief an den Vorstand von Kaiser's Tengelmann geschrieben in der Hoffnung, vor der Aufsichtsratssitzung am Freitag noch etwas bewegen zu können. Für den Fall, dass Kaiser's aus Schaag verschwindet, gebe es keine Pläne, teilte die Stadtverwaltung auf Anfrage mit. In Büttgen bei Kaarst im Rhein-Kreis Neuss etwa ist auch eine Filiale von der Schließung bedroht, doch hier eröffnet Ende September ein neuer Rewe. Das ist in Schaag nicht in Sicht.

Sind die Tage des letzten Kaiser's in Schaag tatsächlich gezählt, geht auch eine Ära am Niederrhein zu Ende. "Den Laden gibt es schon seit meiner Kindheit", erzählt eine 74-jährige Freundin von Marianne Esser, die gerade beim Obsthändler Birnen kauft. Der Gründer des Unternehmens Kaiser's, Josef Kaiser, stamme schließlich auch aus Viersen. Er übernahm im Jahr 1880 das Kolonialwarengeschäft seiner Eltern.

(heif)
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