Nettetal Inklusion künftig nur mit Therapie light?

Nettetal · Die Jugendamts-Elternbeiräte, Kindergartenräte sowie pädagogische und therapeutische Kräfte in Inklusionseinrichtungen werfen dem Landschaftsverband vor, die Inklusion für ein Sparmodell zu benutzen.

Wendet sich die Inklusion in der Praxis ausgerechnet gegen jene, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erhalten sollen? Diese Frage bewegt Eltern von bisher integrativen und künftig inklusiven Einrichtungen - ob es sich um Schulen oder um Kindergärten handelt. Kreisweit mobilisieren zurzeit Jugendamts-Elternbeiräte (JAEB) Eltern, Einrichtungen und die breite Öffentlichkeit mit ihrer Sorge, dass die therapeutische Begleitung behinderter Kinder in Tagesstätten erheblich eingeschränkt wird.

"In der Kindergartenlandschaft wird sich innerhalb eines Jahres Grundlegendes ändern", berichtet die Nettetaler JAEB-Vorsitzende Alexandra Schroers. Wurden bisher Kinder mit Förderbedarf in integrativen Einrichtungen betreut, so öffnen sich nun alle Tagesstätten der Inklusion. Das hat aus Sicht von Eltern, Fachpersonal und Trägern fatale Folgen. Kamen in integrativen Einrichtungen bisher zwei Vollzeit-Therapeuten-Stellen auf zehn Integrationskinder, so zieht sich der Landschaftsverband Rheinland (LVR) innerhalb einer Übergangszeit bis zum 31. Juli 2015 mit einem anderen Finanzierungsmodell aus dieser Vollversorgung zurück.

Jede Tagesstätte erhält dann 5000 Euro im Jahr für ein Kind mit Förderbedarf. "Das klingt erst einmal schön, aber es wird die Therapien erheblich einschränken", fürchtet Dagmar Karwath, Leiterin der Inkita in Kaldenkirchen. Sie hat drei Integrationsgruppen mit insgesamt 15 behinderten Kindern. Dafür erhielte sie nach dem Modell 75 000 Euro im Jahr - viel zu wenig, um den gewohnten Standard halten zu können.

In der Inkita arbeiten zwei Vollzeit- und zwei Halbtagskräfte als Logopäden und Physiotherapeuten. Das habe den großen Vorteil, dass Kinder sehr flexibel während der gesamten 45 Stunden, die sie in der Einrichtung verbringen, betreut, gefördert und therapiert werden können.

Die Kürzung der Zuweisungen werde sich verhängnisvoll auf die Inkita und vergleichbare Einrichtungen auswirken, fürchtet die Elternratsvorsitzende Carolin Gerold. Sie mache sich Sorgen um die grundsätzliche Ausrichtung der Inkita als Inklusionseinrichtung.

Anke van Eickels ist seit vielen Jahren Logopädin in der Inkita. Sie fürchtet generell um die Qualität therapeutischer, aber auch pädagogischer Arbeit in allen Einrichtungen, wenn das Modell des Landschaftsverbands umgesetzt wird. "Eine Tagesstätte kann künftig ein Kind mit Förderbedarf nicht ohne einen triftigen Grund abweisen. Wie sie aber die Therapie mit 10 000 oder 15 000 Euro im Jahr ausreichend sicherstellen soll, wenn etwa nur zwei oder drei solcher Kinder dort betreut werden, ist aus fachlicher Sicht fraglich", sagt die Logopädin.

JAEB-Vorsitzende Schroers hegt auch Zweifel, dass die Absicht, die Krankenkassen nun finanziell heranzuziehen, Wirkung entfalten wird. "Wir Eltern fürchten, dass unsere Kinder einem Sparprogramm geopfert werden. Wir wollen auf jeden Fall die Therapeutenstellen erhalten. Es ist merkwürdig genug, dass über Kompetenzzentren zuletzt gar nicht mehr geredet wurde." Sie und andere Eltern fürchten, dass in Kitas künftig pädagogisches Personal ohne therapeutische Ausbildung und ausreichende Qualifikation Kinder mit Behinderung bilden, betreuen und fördern sollten.

Inkita-Leiterin Dagmar Karwath hat berechtigte Sorge, dass sie demnächst ohne ihre festen Therapeuten dasteht. "Ich kann es doch niemandem verdenken, wenn er oder sie sich auf eine Vollzeitstelle bewirbt, wenn wir die hier nicht mehr garantieren können."

Engagierte Eltern werben für ihr Anliegen im gesamten Kreisgebiet, es liegen Unterschriftenlisten aus. "Der Zuspruch der Bürger ist enorm. Viele verstehen unsere Sorge", sagt Alexandra Schroers.

(RP)
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