Nettetal Hier Currywurst, dort Bitterballen

Nettetal · Venloer Historiker Ragdy van der Hoek zu Unterschieden entlang der Grenze

Gerade hat Ragdy van der Hoek die lockere Art der Niederländer herausgestellt, schnell zum Du zu wechseln, als die Frage kommt: "Und warum redet der niederländische König seine Mutter mit Sie an?" Darauf antwortet der Venloer Historiker: "Ich habe meine Eltern immer geduzt." "Aber ich", wirft Mieke Spolders ein, "habe meine Eltern und meine Oma immer mit Sie angeredet". Das war in den 1950er Jahren üblich, erzählt die gebürtige Niederländerin, die sich heute um das Atelier van Eyk kümmert. Das habe sich erst in den 1960er Jahren geändert, räumt van der Hoek ein: "Und im Königshaus wurde die Tradition beibehalten", vermutet er.

Der Dialog beendet ein kurzweiliges Nachdenken über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die sich seit der Grenzziehung nach dem Wiener Kongress vor 200 Jahren gehalten haben. Van der Hoek hat darüber kürzlich ein Buch veröffentlicht (Over de grens/Über die Grenze), das "aus einer Idee heraus" entstanden ist. In den 1920er Jahren lebten in Venlo rund 1500 Deutsche. "Das müsste doch einmal beschrieben werden", dachte er - aus geplanten 50 Seiten wurden mehr als 250. Dazu hat er Ideen- und Ratgeber gefunden, in Nettetal etwa die Historiker Leo Peters, Vater und Sohn Optendrenk sowie Ortshistoriker der Heimatvereine.

Wie war das mit der Gardinensteuer? Östlich der Grenze macht man an ihr fest, dass die Niederländer Häuser mit großen Fenstern bauen, durch die man von der Straße bis in den Garten hindurch schauen kann. "Die hat es nie gegeben", klärte von der Hoek auf. Wohl gab es zur Franzosenzeit eine Fenstersteuer, die die Preußen später - anders als die Limburger - nicht übernahmen. So wurden dort die Fenster größer und damit weniger, so dass der Fiskus fast leer ausging. Gebaut wird sehr unterschiedlich: "In Holland für 30 bis 40 Jahre, in Deutschland für die Ewigkeit", hatte er herausgefunden.

Enttäuscht ist der Grenzgänger van der Hoek von den inzwischen überall identischen Ladenketten. Wobei er einen kleinen Unterschied übersehen hat, den seine Landsleute kennen. In Niederlanden ist Aldi-Nord verbreitet, in Nettetal Aldi-Süd. Das lässt viele Niederländer nach Kaldenkirchen fahren - eine Umkehr des Kauftourismus. Van der Hoek liebt die heute sehr durchlässige Grenze, weil sie eben Unterschiede hervorgebracht hat. So auch beim Bietrinken. Hier das 0,3- Liter-Glas mit Eichstrich und Schaumkrone auf dem Pils, dort das 0,2-Liter-Glas mit am Glasrand abgewischtem Schau. Zum Bier vor dem Haus auf der Terrasse hat der Limburger einen Teller mit Borrelhappjes (Bitterballen) stehen. Anders als in Deutschland sind Kroketten in den Niederlanden mit Rind- oder Geflügelfleisch, Gulasch oder Gemüse gefüllt. In Deutschland hat er als Pendant die Currywurst ausgemacht.

(mme)
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