Nettetal Für Griechenland interessiert sich keiner

Nettetal · Die Ausleihbilanz der Stadtbücherei macht deutlich, wie schnell ursprünglich "heiße Themen" durch neue Entwicklungen das Leser-Interesse erkalten lassen. Jetzt dominieren Flüchtlinge und der Orient.

 Fast 180.000 Medien aller Art haben Kunden im vergangenen Jahr aus der Stadtbücherei in Breyell herausgetragen.

Fast 180.000 Medien aller Art haben Kunden im vergangenen Jahr aus der Stadtbücherei in Breyell herausgetragen.

Foto: Busch

Vor einem Jahr waren Bücher über die Finanzkrise in Griechenland ein Renner in der Büchereiausleihe. Heute stehen sie wie Blei in den Regalen. Dafür greifen die Kunden nun zu Büchern, die sich mit Flüchtlingen, Fluchtursachen, dem IS und den zahlreichen Konflikten im vorderen Orient befassen. "Die ersten Bücher zur aktuellen Entwicklung sind da und werden sehr stark gefragt", berichtet Bibliotheksleiter Ulrich Schmitter.

Das zeitweilig heiße Interesse an aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Büchern erkaltet ebenso schnell, wie es sich entwickelt hat. Die Bücherei muss außerdem immer mehrere Exemplare haben, um Ausleihwünsche zeitnah zu befriedigen. Gleichzeitig aber weiß das Team um Schmitter, dass es ständig gesamtgesellschaftliche Entwicklungen im Blick haben muss, um zu erkennen, wohin sich die Lesergunst anschließend wendet.

Wenn er auf die Bilanz des vergangenen Jahres schaut, dann gibt es allerdings einen ganz klaren Favoriten: Kriminalromane stehen extrem hoch im Kurs, und zwar in allen Altersgruppen. "Es gibt keine altersgebundenen Schwerpunkt. Die Nachfrage nach Krimis geht wirklich quer durch die Generationen", sagt er. Schnell konsumierbare Kost - einmal gelesen und dann für immer weggestellt - hält die Bücherei ebenso vor wie Klassiker. "Es wäre fatal, Autoren wie Raymond Chandler oder auch Eric Ambler nicht im Bestand zu haben, auch wenn Amblers Romane seit Ende des Kalten Krieges deutlich weniger gelesen werden", sagt Schmitter.

Komplett überrascht hat ihn unlängst ein Leser, der nach Karl May fragte. Natürlich stehen die wichtigsten Romane des sächsischen Schriftstellers mit der überbordenden Fantasie im Regal. Aber die Bücherei wird in Kürze die alten gegen neue Bücher austauschen. "Sie sind ein bisschen vergilbt", schmunzelt der Bibliothekar.

Deutlich nachgelassen hat der Boom bei den Sachbüchern in den vergangenen Jahren. Ratgeber zu allen Lebenslagen gingen über eine lange Zeit "wie geschnittenes Brot". Der Zeitgeist hat sich gegen sie und die Autoren gewendet. Schmitter vermutet, dass der schnelle Zugriff zu solchen Themen über das Internet für die Wende verantwortlich ist. Auch darauf müsse eine öffentliche Bücherei sich heute einstellen. Die Online-Welt ist schier unerschöpflich und ständig in Bewegung, vor allen Dingen aber extrem schnell bei aktuellen Entwicklungen.

Das gute alte Buch dagegen findet immer noch über ganz klassische Wege ins Ziel. "Viele Kunden orientieren sich an Bestsellerlisten und Besprechungen in den unterschiedlichen Medien. Die Mund-zu-Mund-Propaganda ist auch nicht zu unterschätzen. Wer liest, redet mit anderen darüber", hat Schmitter festgestellt.

Ein Selbstläufer ist keine Bibliothek. Sie muss ein ausgewogenes Programm haben, das den Mainstream bedient und Nischen besetzt. Außerdem muss bekannt sein, dass sie überhaupt vorhanden ist. In diesem Jahr wird die Stadtbücherei noch offensiver auf die Kindergärten zugehen. Sie verfügt über einen reichen Fundus von Kinder- und Jugendbüchern für jedes Alter. "Der Ganztag an vielen Schulen schränkt allerdings die Möglichkeiten dort zum Besuch bei uns deutlich ein", berichtet Schmitter. Umso dankbarer ist er für Initiativen wie die aus Kaldenkirchen: Mit dem Traktor und einem Anhänger brachte Beate Steffens vom gleichnamigen Kinderbauernhof in Hülst junge Leser nach Breyell. Die Kooperation der Bücherei mit Turmverein und Feuerwehrmuseum beginnt nach Schmitters Angaben zu greifen.

Stark gefragt sind DVD. Sie sind Quotenbringer bei Kindern und Jugendlichen. Mehr Freunde gewinnt auch das E-Book. Meist heruntergeladen im Niederrhein-Verbund, dem die Nettetaler angehören, wurde übrigens "Italienisch genießen mit dem Thermomix".

Wie sehr die Nettetaler ihre Stadtbücherei schätzen, zeigte sich, als die Haushaltssperre verhängt wurde und zeitweilig keine neuen Medien angeschafft werden konnten. Es wurden Geld und Bücher gespendet, oft begleitet von aufmunternden Kommentaren. Die Ausleihe ging mit 174.531 Medien zwar etwas zurück (auch infolge der Sperre), aber bei den E-Books ging es kräftig hoch: 6411 Mal wurde ein Buch heruntergeladen, 2667 öfter als im Jahr zuvor.

(RP)
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