Viersen Enkel verbrannt: Oma muss in Haft

Viersen · Die 55-jährige Viersenerin zündete das Auto an, in dem sie mit ihrem Enkel saß. Der Junge starb im Krankenhaus.

Gefasst reagierte gestern die 55-jährige Viersenerin, als der Vorsitzende des Mönchengladbacher Schwurgerichts Lothar Beckers das Urteil verkündete. Wegen Brandstiftung mit Todesfolge und Totschlag im minder schweren Fall muss die Angeklagte für sieben Jahre in Haft.

In der Urteilsbegründung ging der Kammervorsitzende noch einmal auf den ebenso ungewöhnlichen wie tragischen Fall ein. Die Großmutter eines neun Jahre alten Jungen war am 9. Februar 2013 mit einem Kleinwagen mit dem Jungen und einem Hund auf einen Schulparkplatz im Rahser gefahren.

An einer abgelegenen Stelle hatte sie den Wagen abgestellt, die Türen verschlossen, Lösungsmittel im Auto ausgeschüttet und angezündet. Ein Spaziergänger hatte den Rauch gesehen und die Feuerwehr gerufen. Ein Brandsachverständiger hatte von einer Stichflamme ohne Verpuffung gesprochen. Aber danach habe in dem verschlossenen Wagen der Sauerstoff gefehlt und sich das giftige Kohlenmonoxid gebildet. Ein psychiatrischer Gutachter war davon ausgegangen, dass die überforderte Frau sich und ihren Enkel töten wollte. Die Großmutter, die der Vormund des Jungen war, überlebte.

Doch der lernbehinderte Enkel starb am 14. Februar unter anderem durch Sauerstoffmangel an Hirnschäden und an einem Lungentrauma. Die Angeklagte, die zur Tatzeit unter schweren Depressionen litt, konnte sich im Gerichtssaal an das eigentliche Brandgeschehen nicht erinnern. Von einer geplanten Tat ging das Schwurgericht nicht aus, hieß es in der Urteilsbegründung.

Die Angeklagte hatte sich noch erinnert, dass sie an dem Februartag den Wagen habe säubern und TÜV-fertig machen wollen. An den Sitzen war zu erkennen, dass sie mit neuen Bezügen versehen werden sollten. Diese Aussage sei nicht zu widerlegen, entschieden die Gladbacher Richter. Deshalb war im Urteil nicht mehr von heimtückischem Mord, sondern nur noch von Totschlag die Rede.

Ein psychiatrischer Sachverständiger wertete die depressive Episode, an der die 55-Jährige zur Tatzeit litt, als krankhafte seelische Störung. Außerdem sei die chronisch überforderte Frau in ihrer Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen, so der Gutachter. Deshalb wertete das Schwurgericht den Totschlag als minder schweren Fall.

Die Großmutter und deren Ehemann hatten den Jungen, der in seiner Entwicklung deutlich verzögert war, als Pflegeeltern betreut. In deren Haushalt war das Kind bereits mit drei Monaten gekommen. Dabei hatte es von dem Großvater offenbar nicht viel Hilfe gegeben. "Hauptsächlich hat sich meine Frau um das Enkelkind gekümmert", hatte der 58-jährige Ehemann ohne Weiteres eingeräumt. Zugleich hatte er seine Frau in Schutz genommen: "Sie hat sich für den Jungen aufgeopfert."

Auch eine Psychologin und eine Lehrerin für Sonderpädagogik fanden im Gerichtssaal nur lobende Worte für die Pflegemutter, die sich sehr fürsorglich um den Enkel bemüht habe. Doch am Ende habe die überforderte Frau auch Bekannten gegenüber manchmal über Belastungen beklagt. Nach dem Tod ihrer Mutter litt sie an schweren Depressionen. In ihren Suizidgedanken sei sie immer wieder von der Idee gequält worden, was denn ohne sie aus dem Jungen werden solle, hieß es auch im psychiatrischen Gutachten.

Offenbar wollte die Großmutter weder den Enkel noch den Hund allein zurücklassen. Tatsächlich habe es zwischen ihr und dem Jungen immer ein inniges Verhältnis gegeben, hatte sich eine Mitarbeiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes im Prozess erinnert. Von den leiblichen Eltern des Neunjährigen erwartete die Angeklagte offenbar keine Hilfe. Im Prozess hatten die Eltern von ihrem Aussageverweigerungs-Recht Gebrauch gemacht.

Als die Angeklagte noch an der schweren depressiven Episode litt, war sie in einer psychiatrischen Klinik. Zugleich mit dem Urteil hob das Schwurgericht gestern den Unterbringungsbefehl auf. In Untersuchungshaft wolle sie nicht mehr. "Ich will in die JVA", war sich die Angeklagte am Ende sicher.

(RP)
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