Nettetal Eltern stehen vor vollendeter Tatsache

Nettetal · Der Landschaftsverband verabschiedet sich gerade von der Finanzierung der therapeutischen Kräfte in Integrations-Kindergärten. Elternvertreter fühlen sich übergangen. Sie fürchten gravierende Nachteile für Kinder mit Förderbedarf.

 Alexandra Schroers (links) und Yvonne Deuschler (rechts) gaben der Landtagsabgeordneten Martina Maaßen Unterschriften und den Auftrag mit zu verhindern, dass behinderte Kinder durch Inklusion schlechter gestellt werden.

Alexandra Schroers (links) und Yvonne Deuschler (rechts) gaben der Landtagsabgeordneten Martina Maaßen Unterschriften und den Auftrag mit zu verhindern, dass behinderte Kinder durch Inklusion schlechter gestellt werden.

Foto: Busch

Mit 1050 Unterschriften in den Händen verließ gestern die grüne Landtagsabgeordnete Martina Maaßen den Kindergarten Inkita in Kaldenkirchen. Gesammelt hatten die Unterschriften engagierte Eltern in Nettetal und Viersen, die gegen den Beschluss des Landschaftsverbandes (LVR) protestieren, Standards in der Förderung behinderter Kinder in Regeleinrichtungen abzuändern. Dazu aufgerufen hatten die Jugendamtselternbeiräte in beiden Städten.

Im Zuge der Inklusion können ab diesem Sommer Eltern ihre behinderten Kinder in jedem Kindergarten anmelden. In einer Übergangszeit von einem Jahr behalten die Integrations-Einrichtungen noch ihren Sonderstatus, dann wird die therapeutische Begleitung der Kinder verändert: Pro Kind gibt es für jede Einrichtung einen Zuschuss von 5000 Euro jährlich für pädagogische Zusatzleistungen. Therapien sollen über die Krankenkassen auf ärztliches Rezept durch ambulante Hilfen geleistet werden.

Das sorgt für erhebliche Unruhe. Bisher arbeiten festangestellte Therapeuten in Integrationseinrichtungen. Die "situationsgerechte" Behandlung (aller) Kinder ist damit gewährleistet, die Therapeuten sind selbstverständlich auch Teil des gesamten Teams. Das ist ab Sommer 2015 vorbei, wenn Festsetzungen des Landschaftsverbandes so durchgezogen werden. Yvonne Deuschle (Viersen) und Alexandra Schroers (Nettetal) hegen große Zweifel, dass dies im Sinne der Kinder und ihrer Eltern sein kann.

"Viele Eltern sind damit überfordert, man lädt auf ihre ohnehin oft überlasteten Schultern nun auch noch ab, sich um die Rezepte zu kümmern. Das können viele Eltern nicht, vor allem dann, wenn ein Arzt von der Notwendigkeit einer Behandlung überzeugt werden muss", so Yvonne Deuschle. Inkita-Leiterin Dagmar Karwath bestätigte, dass sie und Kollegen Eltern schon heute begleiten, um ihnen in schwierigen Situationen beizustehen. Sie fürchte einen erheblichen Qualitätsverlust in ihrer Einrichtung.

Die Elternvertreter hatten alle Landtagsabgeordneten aus dem Kreis Viersen nach Kaldenkirchen eingeladen, um ihnen ihre Sorge zu schildern. Martina Maaßen erhielt die Unterschriftenliste im Original, weil sie einer Regierungsfraktion in Düsseldorf angehört. Ihren Hinweis, sie werde sich des Anliegens annehmen, sehe aber schwarz hinsichtlich einer Veränderung bereits gefasster Beschlüsse, ließen die Kollegen nicht gelten. Dietmar Brockes (FDP) schlug vor, über Modalitäten der Finanzierung durch Krankenkassen und Landschaftsverband noch einmal nachzudenken. Marcus Optendrenk und Stefan Berger (beide CDU) sehen den Beschluss des LVR nicht als "in Stein gemeißelt" an. "Wir dürfen den Abbau von Leistungen nicht zulassen, nur weil jemand ein bisher funktionierendes System verändern will", erklärte Berger. Optendrenk verwies darauf, dass über mehr als 20 Jahre in Nettetal ein durchgehendes und funktionierendes Inklusions-Modell von den Kindergärten über die Schulen bis ins Berufsleben geschaffen worden sei. Die Veränderungen durch den Landschaftsverband brächten das System ins Wanken. Darüber sei das letzte Wort nicht gesprochen.

DRK-Kreisgeschäftsführer Detlef Blank kann sich nicht vorstellen, dass Träger von Einrichtungen die Zertifizierung auf sich nehmen, um die Zulassung als Leistungserbringer mit angestelltem therapeutischen Personal zu erhalten. "Wir beseitigen gerade ein System, ohne eine Alternative zu haben", sagte er.

Wie in vielen anderen Bereichen beklagen Eltern auch in diesem Fall ein vollkommen undurchsichtiges Verfahren über ihre Köpfe hinweg. "Wir fordern Transparenz und zeitnahe Informationen. Es kann nicht angehen, dass wir und vor allem die Eltern der behinderten Kinder immer wieder vor vollendete Tatsachen gestellt werden", klagte Alexandra Schroers. Die Entscheider nutzten ausgerechnet die Inklusion, um sich von Aufgaben zu trennen - zulasten der Kinder.

(RP)
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