Nettetal Der Pfarrer, der sich mit den Nazis anlegte

Widerstand gab es im „Dritten Reich“ am Niederrhein nur vereinzelt — vor allem von Katholiken und Kommunisten. Die Kolpingfamilie erinnerte jetzt an den Leuther Pfarrer Paul Schrievers und andere Kritiker des NS-Regimes.

 Vor 85 Jahren kritisierte Paul Schrievers die kirchenfeindliche Politik des nationalsozialistischen Regimes. Etliche Verhöre musste der Priester erdulden, dann wurde er als Religionslehrer aus dem Schuldienst entlassen.

Vor 85 Jahren kritisierte Paul Schrievers die kirchenfeindliche Politik des nationalsozialistischen Regimes. Etliche Verhöre musste der Priester erdulden, dann wurde er als Religionslehrer aus dem Schuldienst entlassen.

Foto: Kreisarchiv Viersen

Als Paul Schrievers ein junger Kaplan in den 1930er-Jahren in Rheydt war, nahm er kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, die kirchenfeindliche Politik des nationalsozialistischen Regimes zu beklagen. 13 Verhöre durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) musste der aus Süchteln-Dornbusch stammende Priester erdulden, dann wurde er 1936 als Religionslehrer aus dem Schuldienst entlassen. Nach Jahren als Jugendseelsorger des Bistums Aachen wurde er 1945 Pfarrer von St. Lambertus in Leuth. Schrievers gehörte zu den Männern und Frauen, die Helmut Rönz bei der Kolpingfamilie in Lobberich in seinem Referat zum „Widerstand am Niederrhein 1933–1945“ vorstellte.

Einen großflächig organisierten Widerstand gegen das NS-Regime gab es nach den Erkenntnissen von Rönz, der als Lehrbeauftragter an der Universität Bonn tätig ist und als Projektleiter des „Portals Rheinische Geschichte“ des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) sich vor allem den Widerstand erforscht, im Rheinland nicht; nur hier und da ist Widerstand einzelner Personen bekannt. Von Schrievers ist überliefert, dass er am 11. April 1934 vor 120 jungen Leuten der (katholischen) Sturmschar sich heftig gegen eine Eingliederung in die „sogenannte Staatsjugend“ wandte. Auch kritisierte er das Buch „Mythos des 20. Jahrhunderts“ des damaligen NS-Chefideologen Alfred Rosenberg. Die Veranstaltung wurde noch während Schrievers‘ Ansprache von dem überwachenden Beamten abgebrochen. Er notierte noch, dass Schrievers „nicht nachlassen wolle, auch wenn er ins KZ käme“.

Als Beispiel für Kempen verwies er auf den Kaplan Wilhelm Mertens, der bei Fronleichnamsprozessionen auch Kirchenfahnen und andere kirchliche Symbole mitführen ließ, was verboten war. Für Schiefbahn wird der Kaplan Johannes Kaiser genannt, der wiederholt kritisierte, dass Jungen mit zehn Jahren in das Jungvolk („Pimpfe“) eintreten mussten. Die Gestapo ermittelte 1941 gegen ihn, weil er im Verdacht stand, den verbotenen „Heliandbund“ weiterzuführen. In Lobberich wurde Kaplan Hermann-Josef Fritzinger von einem Lehrer bei der örtlichen NSDAP-Leitung angeschwärzt, weil er den Religionsunterricht nicht mit dem „Deutschen Gruß Heil Hitler“ eröffnete, sondern wie bisher üblich mit „Gelobt sei Jesus Christus“.

Als Funktionär der Kommunistischen Partei (KP) war der Kaldenkirchener Stadtobersekretät Alois Huber auch nach deren Verbot noch tätig. Er schaffte vor allem Flugblätter und Propagandamaterial über die holländisch-deutsche Grenze und „sorgte für den Zusammenhalt der Parteigenossen“, wie Rönz schilderte. Nach der Verhaftung durch die Gestapo im September 1934 wurde er im November 1935 zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Er saß zehn Jahre lang in Haftanstalten in Krefeld und Remscheid, ehe er am 19. April 1945 von alliierten Truppen befreit wurde. Wer in der Weimarer Zeit KP-Abgeordneter im Stadtrat war, musste immer mal wieder mit „Schutzhaft“ rechnen, wie das für Lobberich festgehalten ist.

Weitere Einzelfälle kommunistischer Widerstandsaktionen hat Hans Kaiser in seiner Kempen-Geschichte 1933–1945 ausführlich dokumentiert. Schwerpunkt kommunistischen Widerstands war das Ruhrgebiet, nach Westen hin sind nur Einzelfälle bekannt.

Wie das im „Dritten Reich“ so war, erzählte am Rande der Veranstaltung Hermann-Josef Müller, heute 87 Jahre alt. Sonntags war um 10 Uhr Appell der „Hitlerjugend“ (HJ), doch nahm er daran nicht teil, weil seine Mutter darauf bestand, dass er um 10 Uhr die Messe in der katholischen Pfarrkirche St. Sebastian besuche. Die Folge: Er musste zur Strafe Ein-Mann-Stellungen an der Landstraße nach Grefrath ausheben – es war schon Kriegszeit. Seine Mutter, die einem „Fremdarbeiter“ ab und zu ein Brot zusteckte, wurde von einer Nachbarin gewarnt, das nicht zu öffentlich zu machen: „Lenchen, pass auf, die haben dich im Visier.“

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