Nettetal Auf den Spuren der Erinnerung

Nettetal · Seit 30 Jahren fahren aus Niederschlesien stammende Nettetaler ins polnische Langwasser. Inzwischen werden sie von ihrenerwachsenen Kindern begleitet, die ihrer familiären Herkunft nachforschen. Das Misstrauen der Polen gegenüber den Besuchern ist längst gewichen.

Nettetal/Langwasser Es ist eine Reise in die Vergangenheit, die die 48 Männer und Frauen unternehmen. Und das, obwohl es für 16 von ihnen das erste Mal ist, dass sie Langwasser besuchen. An den Ort in Niederschlesien haben die Jüngeren keine eigene Erinnerung, sondern greifen auf die familiäre zurück. Trotzdem wird die knappe Woche für alle eine tief berührende Reise zurück zu den Wurzeln.

Für die einen ist es eine Erinnerungs-, für die anderen eine Erkundungsfahrt. Eine besondere ist es auch. Seit 30 Jahren besuchen Nettetaler, die aus dem niederschlesischen Langwasser stammen, ihre alte Heimat, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Polen liegt. Wie immer hatte der Hinsbecker Manfred Scholz (71) die Reise organisiert. Und wie immer, konnten nicht alle, die wollten, mitfahren.

Geschichte ist gegenwärtig

Was vor über 60 Jahren geschah, ist Geschichte. Und obwohl die Polen den Gäste vom Niederrhein inzwischen nicht mehr misstrauisch begegnen, ist das Thema Vertreibung immer noch hochsensibel und gegenwärtig. "Auch unsere Leute kamen nicht freiwillig hier her", sagte Pfarrer Szymon Bajak von St. Nikolai den Besuchern. "Sie wurden aufgrund alliierter Verträge aus dem Raum Lemberg, aber auch aus der Ukraine und Weißrussland umgesiedelt." Genau wie die Deutschen hatten es die Polen in ihrer neuen Heimat zu Beginn nicht leicht: Weil sie anders sprachen, wurden sie beschimpft. Dazu kam die Angst, dass die Deutschen irgendwann zurückkommen könnten.

Die Deutschen kamen – als Gäste. Und bekamen vom Pfarrer folgendes zu hören: "Sie sind hier immer herzlich willkommen. Sie sind unsere Freunde." Spontan segnete und entzündete der Geistliche die große Novenen-Kerze, die Reiseleiter Manfred Scholz in Kevelaer mit den Jahreszahlen 1979 bis 2009 hatte anfertigen lassen. Neun Tage brannte die Kerze aus Nettetal auf dem Altar der polnischen Dorfkirche, auch als sechs Kinder in dieser Kirchen ihre erste Heilige Kommunion empfingen. Der Pfarrer bezeichnete den Besuch als Zeichen der Begegnung zwischen Menschen. Er schenkte den Gästen ein postkartengroßes Foto der Ikone, die von der Roten Armee zwangsweise aus Weißrussland nach Langwasser umgesiedelte Polen mitgebracht hatten. Reiseleiter Manfred Scholz (71) überreichte im Gegenzug das Stadtwappen mit der Nettetaler Seerose. "Das ist jetzt unsere Heimat", unterstrich er. Das Nettetaler Wappen bekam im Pfarrhaus einen besonderen Platz. "Hier ist unsere alte Heimat", sagte Manfred Scholz vor der Abreise in der Liebenthaler Kirche, wo Pfarrer Szymon Bajak die Nettetaler mit einer Andacht verabschiedete. Der polnische Pfarrer lud alle zu einem weiteren Besuch in Langwasser ein. Manfred Scholz versprach: "Wir kommen wieder."

(RP)
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