Zeitzeugin in Moers Dienstags fuhr ein Zug nach Auschwitz

Moers · Zeitzeugin Eva Weyl und Anke Winter, Enkelin des Lagerkommandanten Gemmeker, erzählten von Judenverfolgung und Nazis. Im Gymnasium in den Filder Benden war es sehr still.

 Erzählen, aufklären, sagen, was war: Zeitzeugin Eva Weyl war jetzt am Gymnasium „Filder Benden“ zu Gast.

Erzählen, aufklären, sagen, was war: Zeitzeugin Eva Weyl war jetzt am Gymnasium „Filder Benden“ zu Gast.

Foto: Dieker, Klaus (kdi)

„Ihr seid nicht verantwortlich für die Vergangenheit“, sagt Eva Weyl, eine von nur noch wenigen Zeitzeuginnen des deutschen Holocaust. Am Moerser Gymnasium in den Filder Benden berichtete sie vor Schülern über ihre Erfahrungen als junges Mädchen im Durchgangslager Westerbork in Holland. Schon seit mehreren Jahren erzählt sie ihre Geschichte. „Nach der Pogromnacht 1938 gab es nur noch sehr wenige Juden in Deutschland, da der Gedanken einer ‚reinen Rasse‘ immer weiter getrieben wurde.“ 1939 fiel Deutschland in Polen ein. Frankreich und Großbritannien erklärten Deutschland den Krieg. „Insgesamt elf Millionen Juden wurden 1942 in der Wannseekonferenz zum Tode verurteilt“, sagt Weyl.

Ihre Eltern flohen schon früh nach Arnheim. Doch Deutsche Besatzer kamen auch dorthin. Ende Januar 1942 wurde die Familie ins Lager Westerbork geschickt. Alle Juden mussten sich registrieren lassen und bekamen ein „J“ in ihren Ausweis. „Meine Mutter hat die Knöpfe meines Mantels durch in Stoff gewickelte Brillanten ersetzt, für schwere Zeiten.“ Weyl hebt ihre Hand mit dem Ring, auf dem einer dieser Brillanten funkelt.

Gegessen, gewohnt und gelebt wurde in Baracken, streng nach Frauen und Männern getrennt. Weyl kam in eine Frauenbaracke. „Ich war noch niemals von meinem Vater getrennt gewesen. Es war eiskalt. Man merkte durch die dünne Matratze das Eisengestell des Bettes. Ich fühlte mich sehr unwohl“, sagt Weyl. Der Lagerführer Albert Konrad Gemmeker befahl Ruhe im Lager. „Alles war wie ein Dorf aufgebaut und Gemmeker war der König. Jeder hatte genügend Essen und Arbeit. Die andere Kinder und ich durften zur Schule gehen“, sagt Weyl. Mit den von den Lageninsassen erarbeiteten Produkten versorgte Lagerleiter Gemmeker die Nationalsozialisten. Er wollte verhindern, dass er in den Krieg nach Russland geschickt wird, so Weyl.

Jeden Dienstagmorgen gab es eine neue Liste von Menschen, die mit dem Zug nach Ausschwitz geschickt wurden. „Wir Kinder wussten gar nicht, was passierte. Plötzlich verschwand eine Freundin aus meiner Klasse. Mein Lehrer meinte, sie wäre mit dem Zug weggefahren. Mein einziger Gedanke war, dass ich auch in diesem Zug von dort weg wollte“, sagt Weyl. Ihr Vater bekam eine Stelle bei der Verwaltung und die Familie konnte in ein eigenes Zimmer mit Heizung beziehen. Durch diese Arbeit wurde Weyls Vater vorläufig zurückgestellt, ihr Leben war gerettet. Erstmal.

„Manchmal flogen Engländer über uns hinweg, die Deutschland angriffen. Eines Morgens um vier Uhr wurde auch das Lager Westerbork bombardiert. Wir wurden schließlich von Kanadiern befreit, die uns Verpflegung und eine Wohnung in Amsterdam vermittelten. Noch heute lebe ich in dieser Stadt“, sagt Weyl. 80.000 Menschen habe Lagerleiter Gemmeker in den Tod geschickt, darunter war auch Anne Frank mit ihrer Familie. Weyl gehört zu den gerade einmal fünf Prozent der Menschen, die das überlebt haben.

Anke Winter, Enkelin von Gemmeker, sitzt neben Eva Weyl, um zu den Schülern zu sprechen. „In meiner Kindheit wusste ich nichts über die Vergangenheit meines Großvaters. Durch eine Dokumentation in der Schule klärte mich mein Vater später auf“, berichtet Winter. Sie wollte zuerst nichts von dem Thema wissen, bis ihr Sohn, Nils Winter, die Gedenkstätte Westerbork besuchte und Weyl auf ihn dort aufmerksam wurde. Anke Winter und Eva Weyl wurden Freundinnen und halten gemeinsam Präsentationen über ihre Lebensgeschichten. „Mein Großvater konnte nie zur Rechenschafft gezogen werden. Er hatte alle Beweise vernichtet“, sagt Winter.

Der Autor und Journalist Ad van Liempt war ebenfalls auf der Veranstaltung. Er schrieb ein Buch über Lagerleiter Gemmeker, das derzeit in holländischer Sprache erhältlich ist. Eine Übersetzung sei allerdings nicht ausgeschlossen. „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft besser gestalten. Ihr alle tragt keine Schuld für die Vergangenheit, aber die Verantwortung für eine bessere Zukunft“, sagt Weyl zum Ende der Veranstaltung.

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