Moers Zeitzeugin erzählt von Judenverfolgung

Moers · Schüler des Georg-Forster-Gymnasium hörten, was die heute 83-jährige Niederländerin Eva Weyl als Kind im NS-Durchgangslager Westerbork bei Groningen erlebte. Auch das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel war Thema.

 "Was damals geschehen ist, darf einfach nicht vergessen werden": Eva Weyl während ihres Vortrags.

"Was damals geschehen ist, darf einfach nicht vergessen werden": Eva Weyl während ihres Vortrags.

Foto: Christoph Reichwein

"Nur wer die Vergangenheit kennt, kann für die Zukunft vorbeugen." Genau das ist es, was die heute 83-jährige Niederländerin Eva Weyl dazu antreibt, immer wieder in deutsche Schulen zu gehen und über ihre persönlichen Erlebnisse im einstigen jüdischen NS-Durchgangslager Westerbork bei Groningen zu berichten. "Was damals geschehen ist, darf einfach nicht vergessen werden." Eine Ansicht, die auch Marc Glorius, Lehrer für Geschichte und Religion am Kamp-Lintforter Georg-Forster-Gymnasium vertritt. Im Rahmen seines Unterrichts über das Dritte Reich hatte er deswegen Eva Weyl dazu eingeladen, gestern einem Vortrag vor rund 90 Geschichtsschülern seiner Jahrgangsstufe zwölf zu halten.

Eine kluge Entscheidung, denn die heute in Amsterdam lebende Jüdin ist nicht nur eine der wenigen noch lebenden Zeitzeuginnen der damaligen NS-Judenverfolgungen durch die deutschen Besetzer in den Niederlanden, sondern auch eine engagierte Erzählerin, deren Berichte dennoch ohne den berühmten erhobenen Zeigefinger auskommen.

Einst im niederrheinischen Kleve beheimatet, war ihre Familie schon 1934 wegen der damals bereits zunehmenden Anfeindungen gegen Juden mit ihrem Stoff- und Kurzwarengeschäft ins benachbarte niederländische Arnheim umgezogen. "Zu diesem Zeitpunkt konnte man sein Geld und seine andere Habe noch einigermaßen unbehelligt mitnehmen", erzählte Eva Weyl. "Aber mit der Reichskristallnacht 1938 begannen nicht nur die verschärften Restriktionen gegen die Juden in Deutschland, sondern auch gegen die in den Niederlanden." Irgendwann kurz danach eröffnete ihr Vater dann der Familie: "Wir ziehen um." Für die Erkenntnis, dass es dabei in das jüdische Durchgangslager Westerbork ging, war Eva Weyl nach ihrer eigenen Schilderung zu diesem Zeitpunkt noch zu klein. Aber auch ihre Eltern dachten damals, dass es sich dabei "nur um eine durch den Krieg bedingte, zeitliche Übergangsmaßnahme" handeln würde. Eine Vermutung, die sich durch die relativ liberale Organisation in dem Lager zu bestätigen schien. "Wir wurden dort nicht gefoltert und hatten auch immer genug zu essen und eine Schule. Es gab sogar regelmäßig Kabarett-Abende, Konzerte und Theaterveranstaltungen. Aber es verschwanden auch über Nacht immer wieder Freunde, von denen es hieß, sie seien mit dem Zug abgeholt worden", berichtete Eva Weyl in ihrem Vortrag. "Die ganzen Zusammenhänge habe ich dann aber erst später als erwachsene Frau begriffen." So ist sie inzwischen sicher, dass die angeblich so humane Situation in Westerbork nur dazu dienen sollte, die schrecklichen Bedingungen in Auschwitz und den anderen NS-Judenlagern vor der internationalen Öffentlichkeit zu verschleiern: "Ein wahrhaft infames Schauspiel."

Während Eva Weyls 90-minütigen Vortrags herrschte eine fast schon gespenstische Stille unter den zuhörenden Schülerinnen und Schülern, und auch die abschließende Fragerunde blieb anfangs eher verhalten. "Wie nehmen Sie denn mit ihrer Geschichte die sich derzeit offenbar auch in Deutschland verstärkenden, antiisraelischen Proteste wahr?", meldete sich schließlich doch noch eine Schülerin zu Wort. "Nicht gut", lautete Eva Weyls erwartete Antwort. "Ich selber gehöre allerdings zu den eher liberalen Juden, und wünsche mir nichts mehr, als mit den Palästinensern friedlich zusammen zu leben. In Israel selber gibt es jedoch viele sehr orthodoxe Juden, die das nicht möchten. Der Staat Israel ist das eine, das andere sind die Menschen, die hier leben. Das ist ein Unterschied."

(lang)
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