Moers Zahl minderjähriger Flüchtlinge wächst

Moers · 40 leben bereits in Moers. Unterbringung und Betreuung machen dem Jugendamt und freie Trägern viel Arbeit.

Tarik (Name geändert) kommt immer wieder gerne ins Büro von Michaela Bothen. "Haareschneiden, Gespräch mit seiner Mama, Schulweg zu lang . . . Er findet immer einen Grund, um mich im Jugendamt zu besuchen", sagt die Sozialpädagogin. Sie und Jugendamtsleiterin Vera Breuer müssen sich an derlei Anhänglichkeit erst gewöhnen. "Die Jugendlichen, mit denen wir es sonst zu tun haben, sind oft froh, wenn sie uns nicht sehen", sagt Breuer. Tarik gehört nicht zur angestammten Klientel des Jugendamts. Der 15-Jährige ist allein aus Syrien geflüchtet und wohnt jetzt in Moers.

Bislang wurden alleinreisende minderjährige Flüchtlinge in der Regel durch einige wenige Jugendämter (zum Beispiel in Aachen, Dortmund oder Köln) in Obhut genommen. Nach einer Gesetzesänderung wird diese Aufgabe nun auf alle Kommunen verteilt. Das mache zwar Sinn, sagt Breuer, stelle die Stadt aber vor neue Herausforderungen. 40 unbegleitete Minderjährige leben bereits in Moers. Bis zu 63 habe die Landesverteilstelle avisiert, sagt Breuer. Die meisten sind Jungs, 15 bis 17 Jahre alt, manche aber auch deutlich jünger; in Moers wurde auch ein Neunjähriger in Obhut genommen. Angekündigt werden die Minderjährigen nicht; sie kommen mit den normalen Flüchtlingstransporten.

Da alle Städte vor dem gleichen Problem stehen, werden Fachkräfte (wie Sozialpädagogen) für die Betreuung der Minderjährigen knapp. Darüber hinaus fehle es an geeigneten Wohnplätzen, sagt Breuer. Vorgesehen sei eigentlich die Unterbringung in Wohngruppen mit einer Betreuung rund um die Uhr. Dabei gelte, so Breuer, ein Personalschlüssel "eins zu eins": Auf eine siebenköpfige Wohngruppe kommen sieben Betreuungspersonen. Eine solche Gruppe gebe es beim CJD. Weitere müssten erst in Zusammenarbeit mit freien Trägern eingerichtet werden. Übergangsweise leben die Minderjährigen in größeren Gruppen zum Beispiel in angemieteten Wohnungen, bei einer weniger intensiven Betreuung durch eine oder zwei Personen. Die Kosten der freien Träger für das Betreuungspersonal in den Wohneinrichtungen übernehme, nach Genehmigung durch das Landesjugendamt, das Land. Die Stadt erhalte für ihren Aufwand (Personalkosten für den Allgemeinen Sozialen Dienst) eine Pauschale von 3100 Euro für jeden Minderjährigen. "Damit sind unsere Ausgaben weitestgehend gedeckt", sagt Vera Breuer.

Schule, Ausbildung, Sprache nennt Breuer als Stichpunkte für die Aufgaben des Jugendamts. "Die Jugendlichen müssen einen Alltag haben." Wie Tarik seien die meisten gut sozialisiert, lernbegierig und hätten ein klares Ziel vor Augen. Dieses lautet: Schulabschluss, Existenz aufbauen und so schnell wie möglich die Familie nachholen. Die Flucht ohne Eltern und Geschwister habe oft finanzielle Ursachen; die Schlepper verlangten viel Geld für die Schleusung nach Europa. Die schnelle Familienzusammenführung ist auch aus Sicht des Jugendamts wünschenswert. Um die Formalitäten kümmerten sich gerichtlich bestellte Vormunde, die die Minderjährigen auch im Rahmen des Asylverfahrens vertreten.

Nicht nur die Angst um die Daheimgebliebenen, zu denen viele per Handy Kontakt halten, macht den Mädchen und Jungen zu schaffen. Krieg und Verfolgung in der Heimat haben oft Spuren in ihren Seelen hinterlassen. Michaela Bothen weiß von Angstzuständen, Schlafstörungen und Panik-Attacken zu berichten. Ein Junge habe die Flucht zusammen mit seinem Vater angetreten, dieser sei aber in Mazedonien an einem Herzinfarkt gestorben. "Die Trauer kommt erst jetzt, nach der Ankunft in Moers", sagt Vera Breuer.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort