Moers Wie Struppi seine französische Familie fand

Moers · Der niederrheinweit bekannte Chorleiter Hans-Heinrich Struberg (Jahrgang 1945) ging in der Normandie auf die Suche nach den Spuren seines leiblichen Vaters. Er lernte bis dato unbekannte Verwandte kennen, die jetzt ihn besuchen.

 Vier Kinder Luciens vereint: Alain, Nadine und Struppi bei Jocelyne in Paris. Die beiden Schwestern sind in diesen Tagen in Wesel zu Gast.

Vier Kinder Luciens vereint: Alain, Nadine und Struppi bei Jocelyne in Paris. Die beiden Schwestern sind in diesen Tagen in Wesel zu Gast.

Foto: Struppi

Vermisst hat Struppi, im Einwohner-Register als Hans-Heinrich Struberg eingetragen, nie etwas. Seine Eltern haben ihn mit großer Liebe aufgezogen und weiter ins Leben hinein begleitet. Als leidenschaftlicher Musiker, Musiklehrer, Chorleiter und Organisator von Chorkonzerten ist er am unteren Niederrhein bekannt. Alle Welt kennt ihn als Struppi, diesen schmalen, feingliedrigen, mittelgroßen, ewige Jungen. Der steckt mit seinem nie versiegenden Optimismus andere Menschen an. Aufgewachsen ist er im linksrheinischen Alpen.

Dort zieht er in diesen Tagen mit einer kleinen Gruppe, auf Häuser und schöne Ecken weisend, umher. Er zeigt und erklärt die Orte seiner Jugend. Das hat eine lange Vorgeschichte. Warum konnte in der Grundschule nur er - darauf war er sogar etwas stolz - von der Hochzeit seiner Eltern erzählen, die er als Vierjähriger miterlebte? Komisch war das, zumal ein frecher Knirps schon mal behauptete, sein Vater sei gar nicht der richtige. "Pah, so'n Blödsinn, er ist der Allerbeste."

 Der kleine Struppi im Tableau, das einst sein Vater schnitzte

Der kleine Struppi im Tableau, das einst sein Vater schnitzte

Foto: Struppi

Struppi wurde älter, kramte auf dem Boden und im Keller in Kisten herum und fand zum Beispiel einen Satz Holzschnitz-Werkzeuge mit Gebrauchsspuren. Sein Vater schnitzte nicht, die Geräte hatten auch fremdländische Fabrikationszeichen. Schlagartig fiel Struppi ein, dass ihm seine Mutter einmal ein in ein Holzbrett eingeschnitztes Relief mit Pflanzenmotiven gezeigt hatte, nahe dessen schmalem Abschluss das Foto eines Babys - Struppis - eingelassen war. Und es existierten einige Briefe, sorgsam gehütet und beschwiegen. Und ein Vorname: Lucien, und ein Dorfname: Pointel. In Alpen lebt noch eine alte Frau, die Lucien gekannt hat.

Er war ein französischer Kriegsgefangener, der mit etlichen anderen am Rand von Alpen in einem kleinen Gemeinschaftslager untergebracht war, von wo er tagsüber zu Bauernhöfen oder in kleine Betriebe ging, die Arbeitskräfte angefordert hatten. Lucien war handwerklich sehr geschickt, zudem ein offener, netter Bursche und deshalb als Helfer überall gern gesehen.

 Nur wenige hundert Einwohner zählt das Dörfchen Pointel im Department Orne. Hier begann Hans-Heinrich "Struppi" Struberg mit seiner familiären Spurensuche, die zu wunderbaren Erkenntnissen und freundschaftlichen Verbindungen führte.

Nur wenige hundert Einwohner zählt das Dörfchen Pointel im Department Orne. Hier begann Hans-Heinrich "Struppi" Struberg mit seiner familiären Spurensuche, die zu wunderbaren Erkenntnissen und freundschaftlichen Verbindungen führte.

Foto: PR

Der gestandene Mann Hans-Heinrich Struberg, der studierte Musiker und engagierte Schullehrer begann in Frankreich zu recherchieren. Es wurde eine lange Suche. Hier nur kurz: Das Dörfchen Pointel liegt in der Normandie, dort leben noch drei der sechs Kinder Luciens. Dieser selbst starb ziemlich früh, weil seine von einer Kreissäge gefährlich verletzte Hand vom Wundstarrkrampf befallen wurde. Auch Luciens französische Frau Odette ist tot.

Aber die Kinder erinnerten sich einiger Briefe aus Deutschland. "Nun sind wir zu siebt", freuten sie sich. Ein jeder von ihnen hat ein ähnliches handgeschnitztes hölzernes Relief mit eingelassenem Baby-Foto, ganz so wie Struppi eines hat.

Seine Mutter Maria, ein liebenswertes, gut erzogenes Mädchen, und Lucien, der patente französische Kriegsgefangene, kannten einander gut, so wie man sich im Dorf kennt. Im Oktober 1945 wurde Struppi geboren. Die Schreiberin dieses Berichtes hat vom östlichen Rand des Ruhrgebiets her, etwa 100 Kilometer entfernt von Wesel, den Vormarsch der Alliierten Anfang 1945 von der Kanalküste auf den Niederrhein zu erlebt: Tagelanger ständiger Kanonendonner, der immer näher kam. Das Radio, es funktionierte noch, meldete flächendeckende Bombenangriffe. Linksrheinische Städte wurden schwer getroffen, Wesel war zerstört. Viele Menschen auf der Flucht. Angst begleitete schon lange ganz selbstverständlich das Leben, wurde körperlich spürbar aber erst, wenn die Gefahr direkt da war. Eine anerzogene Kleinmoral gilt dann nicht mehr, wenn junge Menschen noch einen Becher Leben trinken wollen.

Das wusste auch das Dorf Alpen. Als Struppi vier Jahre alt war, heiratete ein lieber Mann Struppis Mutter mit ihrem Söhnchen. Ein Brüderchen hat Struppi nun leider nicht mehr bekommen. Seine Eltern haben ihm, als er größer war, erklärt, dass seine Mutter eine schwere Geburt habe durchstehen müssen und man nicht noch eine riskieren möchte.

In diesen Tagen nun sind von Struppis noch lebenden französischen Verwandten die Schwestern Nadine und Jocelyne sowie der Schwager Bernard in Wesel zu Besuch. Es lebt noch ein Bruder, Alain, aber der ist augenblicklich nicht gut zurecht, blieb also lieber zu Hause. Struppi ist mit seinen Gästen am wunderschönen Niederrhein unterwegs, diesseits und jenseits der holländischen Grenze.

Er führt sie auch dahin, wo Lucien einst wirkte und wo seine Mutter ihn kennenlernte. Natürlich wird diese grenzüberschreitende Familienverbindung, die ihren Anfang im Krieg nahm, auch gebührend gefeiert.

(RP)
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