Moers Wertvolles Familienerbstückvon 1902

Moers · Heute sieht der Seitenkopf des Grafschafter aus wie vor 113 Jahren. Damals besuchte Kaiser Wilhelm Moers - und traf auf den Urgroßvater von Detlef "Deffi" Steves. Die Zeitung von damals hat zwei Weltkriege überlebt. Diese ganz besondere Ausgabe hütet die Familie wie ihren Augapfel.

 Deffi mit seinem Vater Hans-Dieter Steves im elterlichen Wohnhaus. Auf dem Bild zu sehen ist Deffis Großvater, der Sohn von Wilhelm, von dem in dem Grafschafter von 1902 die Rede ist.

Deffi mit seinem Vater Hans-Dieter Steves im elterlichen Wohnhaus. Auf dem Bild zu sehen ist Deffis Großvater, der Sohn von Wilhelm, von dem in dem Grafschafter von 1902 die Rede ist.

Foto: Klaus Dieker

Hans-Dieter Steves ist Sammler. Mehrere Dutzend Pfeifen stehen in seiner Vitrine. Aus Holz, aus Meerschaum. Der Vater von TV-Star Detlef "Deffi" Steves kommt kaum noch zum Pfeiferauchen, steckt sich lieber eine Zigarette an. Geht schneller, sagt der 71-Jährige.

Steves sammelt noch mehr als nur Pfeifen, er sammelt vor allem Erinnerungen. "Früher stand hier nur unser Haus", sagt er beispielsweise. Jetzt lebt er umringt von Mehr- und Einfamilienhäusern im Stadtteil Asberg.

Steves lächelt verschmitzt, wenn er von dem Ziegenbock des Nachbarbauern erzählt, vor dem er als Kind immer weglaufen musste, wenn er über das Feld abkürzen wollte.

Moers: Wertvolles Familienerbstückvon 1902
Foto: Dieker, Klaus (kdi)

Eine ganz besondere Erinnerung hebt Steves in einem Bilderrahmen auf, eingeschweißt in Plastikfolie, damit sich der Zustand nicht weiter verschlechtert. Es ist die Titelseite des Grafschafter von Freitag, 27. Juni 1902. Warum Steves diese vergilbte, ausgefranste Seite in der Type Fraktur, bei der das s aussieht wie ein f, noch immer aufbewahrt? Sie ist Teil der Familiengeschichte. Und Familie wird bei den Steves groß geschrieben.

Steves stammt in direkter Linie von den Engfelds ab. Seine Mutter war eine geborene Engfeld, sein Vater brachte den Namen Steves mit in die Ehe. Und die Engfelds spielen in der Ausgabe des Grafschafters von 1902 eine wichtige Rolle.

"Die Engfelds leben schon lange in Moers", erklärt Steves. Mindestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Wahrscheinlich noch ein wenig länger. Sie waren Landwirte, stolz auf ihren Beruf, stolz auf ihre Familie. Bei Hans-Dieter Steves ist das nicht anders. Nur, dass er die Landwirtschaft an den Nagel hing und erst einmal Hufschmied lernte, bevor er in den Bergbau ging. Aber Familie ist das Wichtigste, sagt auch er.

Deswegen gibt es heute noch die Zeitungsseite von 1902 - sie hat zwei Weltkriege überlebt und den jungen Deffi. In der Ausgabe zu lesen sind neben Anzeigen für Büstenhalter auch mehr als 100 Zeilen über den Besuch von Kaiser Wilhelm II. in Moers. Der deutsche Regent war damals in die Stadt gereist, um von einem Pavillon auf dem Markt einer Parade beizuwohnen. Mitten in Moers, mit mehreren Hundert Veteranen.

Und dann kam es zu dem Augenblick, den auch Steves nur aus der Zeitung kennt: "Die unvergessliche Szene, als die Eheleute Engfeld mit ihren 7 Söhnen den kaiserlichen Majestäten vorgestellt wurden, wird uns von den Beteiligten wie folgt erzählt: Nachdem Se. Majestät der Kaiser die Veteranen-Kompanie abgeschritten, machte Herr Direktor Pattberg den Herrn Landrat darauf aufmerksam, daß die Familie Engfeld noch der Vorstellung harre, worauf derselbe anordnete, daß sie neben dem Kaffeepavillon Aufstellung nahm."

Steves' Augen leuchten, als er diese Zeilen vorliest. Und es geht noch weiter: "Als der Kaiser herankam, trat er zu dem Kleinsten der Kinder, das die Mutter auf dem Arm hatte, faßte es an die Wange und fragte: "Ist das mein Patenkind? Wie heißt er den? - Wilhelm - Das ist ja ein prächtiger, schöner Junge."

Wenig Spaß hatte der kleine Wilhelm Engfeld allerdings, als ihn die Kaiserin auf den Arm nahm. Das Kind "weinte und widerstrebte und hielt sich an der Mutter fest". Zur Beruhigung gab die Kaiserin dem kleinen Wilhelm ihre Halskette zum Spielen. Als auch der Kaiser den Jungen auf dem Arm nehmen wollte, hielt ihn seine Frau auf: "Wilhelm, laß das sein, das Kind weint ja so bitterlich."

Der Regent wandte sich dann lieber dem Vater zu: "Sind das denn alles Ihre Jungen? - Jawohl, Majestät. - 7 stramme Jungen, der eine wie der andere. Das freut mich. 6 Knaben habe ich auch, aber das siebte ist ein Mädchen. Sollen das denn auch alle meine Soldaten werden? - So Gott will, gewiß Majestät. - Sollte nicht noch ein achter Soldat hinzukommen? - Majestät, ich denke, die sieben sind wohl genug für mich."

Hans-Dieter Steves hat die Zeitung in einem Rahmen im Wohnzimmer hängen, neben Familienfotos und anderen Erinnerungsstücken. "Ich nehme die Seite immer mal wieder von der Wand und lese sie mir durch", sagt er. Das macht ihn glücklich, ist fast wie Pfeife rauchen - nur gesünder.

Für seinen Sohn Detlef gehört die Zeitungsseite zur Familiengeschichte. "Wer kann schon sagen, dass Kaiser Wilhelm seinen Urgroßvater auf den Arm nehmen wollte - und dann von der Kaiserin daran gehindert wurde", sagt der TV-Star. Während für ihn früher als Kind eher die heute absurd klingenden Anzeigen spannend waren, ist es nun die Passage über seine Vorfahren. Auch wenn er seinen Urgroßvater nie kennengelernt hat. "Ich werde die Zeitungsseite in Ehren halten", sagt er. Und: "Familie ist das allerwichtigste." Da sind sich alle Steves einig.

(RP)
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