Moers Von der Macht des Geldes

Moers · In Zeiten, in denen Geiz als geil bezeichnet wird, ist Molières Klassiker "Der Geizige" natürlich aktuell. Regisseur Philipp Preuss inszeniert ihn für das Schlosstheater hochaktueller, greller und anders als erwartet. Viel Applaus.

Mancher mag sich fragen, was in der Inszenierung des "Geizigen" am Schlosstheater von Molière letztlich übrigbleibt? Wer sich die Beantwortung leichtmacht, kommt zum Schluss: nicht viel. Und sofort wäre man beim leidigen Thema, was denn Regietheater bezweckt. Eine spielerische Auflösung liefern Regisseur Philipp Preuss und das Ensemble selbst, indem sie sich auf Autor Daniel Kehlmanns umstrittene Rede beziehen, die er 2009 zum Auftakt der Salzburger Festspiele hielt und darin das Regietheater scharf angriff. Degradiert Philipp Preuss mit der Inszenierung also nur einen Klassiker zur bloßen Vorlage, um mit viel Theaterblut, ein bisschen Klamauk und Slapstick dem Publikum Reaktionen abzuringen? Oder steckt doch mehr dahinter? Zum Beispiel ein "Jetzt erst recht" – noch mehr Regietheater.

Theater lässt es krachen

So oder so: Die Inszenierung passt gut in die laufende Spielzeit – ins Thema, mit dem das Theater in Zeiten knapper Finanzen und leerer Stadtkassen den Finger in die Wunde legen will. Dem Publikum gefällt's, obwohl dies auf die eine oder andere Art schon mehrfach verhandelt wurde. Preuss, der an etlichen deutschen Theatern hoch gelobt inszeniert hat, nimmt das Publikum also nicht mit ins Jahr 1668, als Molière den Geizigen uraufführte. Er lässt die Zuschauer an einer Theaterprobe teilhaben, die alsbald auf verschiedenen Ebenen zu einem blutig-furiosen Spiel rund um den schnöden Mammon wird.

Auf dem Spielplan steht Molières Komödie "Der Geizige". Die Schauspieler Matthias Heße, Patrick Dollas, Katja Stockhausen, Marieke Kregel und Frank Wickermann treffen sich zur ersten Konzeptionsprobe. Drei Tische zum Hufeisen aufgestellt genügen Preuss als Bühnenbild. Darauf Wasser, Kaffeekannen und Textbücher. Dazu die Sekundärliteratur. Es geht um die zersetzende Kraft des Geldes – gestern und heute, in der Familie, in der Gesellschaft und am Theater. Molières Harpagon hat Angst, jemand könnte seinen Schatz finden. Im Theater des 21. Jahrhunderts reicht das nicht mehr aus, heißt die Regieanweisung. Jetzt geht's um Kapitalismus, Ökonomie, Kleptokratie... Die Vorlage liefert der Philosoph Peter Sloterdijk mit dem Essay "Die Revolution der gebenden Hand". Und es geht um 5000 Euro, die dem Stück zur Ausstattung zur Verfügung stehen und plötzlich verschwinden.

Frank Wickermann übernimmt die Rolle des Harpagons und gibt den Regisseur – so einen arroganten und glatten Schnösel, der alles im Stück so richtig "fett, fett, megafett" inszeniert haben will. Er strotzt vor Bühnenpräsenz, wechselt die Rollen innerhalb eines Atemzugs, eine barocke Perücke muss reichen. Er sabbert, japst, verzieht das Gesicht zur Fratze. Regisseur Preuss gibt allen Schauspielern den Raum, sich in ihren Figuren zu entfalten. Irgendwie berührend, wie Marieke Kregel Kehlmanns Rede auf der kargen Bühne interpretiert und zum Strahlen bringt.

Wer sich in dieser Inszenierung nicht nur auf die Suche nach dem verlorenen Molière macht, der findet ein ideenreiches, sehr spaßiges Theaterstück, in dem es die Schauspieler richtig krachen lassen – mit drastischen Momenten, derben Schenkelklopfern und Schmunzlern fürs Publikum: Da liefert ein Pizzabote, der telefonisch bestellt wird, tatsächlich die Pizzen auf die Bühne. Es gibt mentale Würgeszene wie bei den Jedi-Ritter, akrobatisch-laszive Einlagen, ein mit Wasser gegurgeltes Ave Maria sowie groteskes Kampfgeschrei in Zeitlupe. Ein Happy End gibt es auch – erst nüchtern als Zusammenfassung, dann freizügig als Schattenspiel hinter der Leinwand.

(RP)
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