Moers Von der Liebe und einem lachsfarbenen Kleid Zum Heiraten ist das Keine

Moers · Das lachsfarbene Kleid im Schaufenster und die Party am Abend. Wunderbar! Man sah dem Kleid aber nicht an, dass es in kurzer Zeit an einem gebrochenem Handgelenk und einer Ehe mit zwei Kindern schuld sein sollte! Damit das neu erworbene Kleid nicht knautscht, kam es unvorsichtigerweise nicht in den Rucksack, sondern in der Tüte an die Lenkstange des Fahrrades. Und wie es kommen musste: Dieselbe geriet in die Speichen, und ich machte einen Salto über die Lenkstange. Das Fahrrad war völlig verbeult, und den Rest des Weges musste ich zu Fuß nach Hause. Die Hand schmerzte, es fing an zu regnen, der Tag war gelaufen. Das nächstgelegene Krankenhaus hatte nicht den besten Ruf, aber es schmerzte immer mehr und der Regen wurde immer intensiver.

Also doch nur die nächstgelegene Klinik, weil es nicht mehr auszuhalten war. Dort war er dann. Der Mann meiner Träume im Wochenenddienst. Der nun verpasste Gips passte farblich nicht zum Kleid, ein Kleid, das heute noch ungetragen im Kleiderschrank hängt – an einen Ehrenplatz.

Sonja Vogel

Rheurdt

Ende 1942 wechselte ich die Uni, kam von Leipzig nach Breslau. Der erste Kommilitone, der mir dort vor dem Labor über den Weg lief, war keine Erbauung. "Oh Gott", dachte ich, "wenn die hier alle so sind!"

Werner war als Versehrter Studienurlauber. Man hatte ihm eine in den Schultern viel zu enge Zweituniform (einen so genannten Branserrock) verpasst, bis zum Hals hoch eng zugeknöpft mit vielen Litzen. Der weiße Kittel darüber passte auch nicht, und der militärische Haarschnitt war ein extremer "Stiftekopp". Als ich dann im Labor arbeitete, hatte er mich von seinem Platz aus genau im Blick. "Die Neue", dachte er, "zum Heiraten ist das Keine!". Er, vom Lande, fand die Neue zu kess, rauchend, leicht geschminkt und immer mit hohen Absätzen. Zum Reinigen unserer Gläser benutzen wir denselben Ausguss. Das brachte uns näher. Ich merkte, dass er beliebt war, Humor und Charme besaß und in erstaunlich kurzer Zeit ein enormes Pensum geschafft hatte. Abwaschend verharrten wir oft im Gespräch. Als Nichtraucher schlug er mir einen Tausch vor: Zigaretten gegen Blaubandfilter. Diese sehr dichten Filter waren Mangelwahre. Ich besaß sie noch ausreichend. Auf meine Empfehlung hin wurden Werners Haare länger. Außerdem trug er jetzt öfter seine gut passende, saloppere Uniform von den Sturmgeschützen. Er war Obergefreiter. Als Zivilkleidung besaß er nur einen von Bekannten alt gekauften, total altmodischen Anzug einer unmöglichen ins Lila changierenden Farbe. Soldaten erhielten keine Kleiderkarrte. Tanzen war damals verboten. Karlchen, auch ein Obergefreiter auf Studienurlaub, schaffte Abhilfe. Seine Tante bewirtschaftete ein Bootshaus an der Oder. Ihr Zweitschlüssel lag immer an einem bestimmten Platz. Den konnte ihr Neffe benutzen, wenn er und seine Freunde Lust und Zeit für eine Fete hatten. Bedingung war: Hausschuhe mitbringen und hinterher alles sauber zurücklassen. Das Grammophon durfte eine dezente Lautstärke nicht überschreiten. Getränke wurden mitgebracht. Chemiker hatten immer Alkohol, denn sie destillierten verwendeten Spiritus fraktioniert zurück. Im neuen Jahr wurde ich in diesen erlauchten Kreis eingeführt. Wir fuhren zu zweit oder viert bis zur Endstation, schlichen leise und wurden in einen dunklen Raum eingelassen. Erst als dort die Schuhe gewechselt waren, öffnete sich die nächste Tür. Schon auf dem ersten Heimweg haben wir uns geküsst. Es folgten stundenlange Spaziergänge durch die verdunkelte, eiskalte und tief verschneite Stadt.

Ich fühle jetzt noch knirschenden Schnee unter meinen Schuhen. Sechs Wochen später waren wir ein Paar und irgendwann beide der Meinung, wir sollten es bleiben. Geheiratet haben wir kurz bevor Werner wieder zur Truppe zurück musste. Jetzt, im 65. Ehejahr, verbindet uns eine beglückende Harmonie. Wir haben uns nach Vertreibung und sowjetischer Gefangenschaft wiedergefunden, sind mit zwei Kindern aus der DDR geflohen, um hier neu zu beginnen, haben viele Höhen und Tiefen durchlebt, aber immer um ein Verständnis für den anderen gerungen. Jeder behielt ein Stück eigene Welt. So konnten neue gemeinsame Interessen wachsen. Eifersucht ist uns beiden fremd. Ich halte das für eine entscheidende Grundfeste einer gesunden Partnerschaft.

Gisela Gebhard

Moers

(RP)
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