Politischer Knall in Moers Grafschafter und ‚Die Partei‘ verlassen Mehrheitsbündnis im Rat

Update | Moers · Die Kooperation aus SPD, Grünen, Linker Liste, Grafschaftern und ‚Die Partei‘ ist zerbrochen. Wie die Aussteiger-Fraktionen ihre Entscheidung begründen.

 Im Moerser Stadtrat verschieben sich erneut die Mehrheitsverhältnisse.

Im Moerser Stadtrat verschieben sich erneut die Mehrheitsverhältnisse.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Es ist eine Nachricht mit Sprengkraft, die SPD und Grüne am Dienstagvormittag offenbar wie ein Unwetter aus heiterem Himmel trifft. Über zwei Pressemitteilungen lassen die Fraktionen Die Grafschafter und Die Partei fast zeitgleich verkünden, dass sie das Mehrheitsbündnis im Stadtrat mit SPD, Grünen und Linker Liste verlassen. 

„Ich bin aus allen Wolken gefallen“, sagt SPD-Fraktionschef Atilla Cikoglu wenige Stunden später und klingt dabei fassungslos. Noch am Montag habe man zusammengesessen. „Vielleicht gab es in den vergangenen Monaten schon mal das Gefühl, dass über das ein oder andere geredet werden muss“, sagt er. „Aber dass die Lage so ernst ist, war mir nicht bewusst.“ Auch bei Grünen-Fraktionschefin Gudrun Tersteegen schwankt die Stimmung von überrascht bis entsetzt. „Die Art und Weise, wie diese Entscheidung kommuniziert wurde, macht in der Rückschau den Zustand der Kooperation deutlich“, sagt sie. „Der Blick darauf ist schmerzhaft.“

Einstimmig habe die Fraktion beschlossen, das Fünferbündnis umgehend zu verlassen, heißt es in der Bekanntmachung der Grafschafter. „Dass dieser Beschluss von unseren Mitgliedern in dieser Art und Weise getroffen wurde, spricht schon für sich“, sagt Fraktionschef Claus Peter Küster. In den vergangenen zwei Jahren ihres Bestehens habe die Kooperation zu wenig für Moers auf den Weg bringen können. Nicht ernstgenommen und nur noch vertröstet hätten sich die Grafschafter zuletzt gefühlt.

Auch die zunehmende Nähe von SPD und Grünen zur Moerser Stadtverwaltung anstatt in Richtung Bürgerschaft habe an vielen Stellen nicht zur vollen Zufriedenheit beigetragen, erklärt Küster. Letztendlich sah die Fraktion im jetzigen Bündnis auch ihre eigene Identität mehr und mehr schwinden.

„Uns ist bewusst, dass es in Zeiten der weltweiten Pandemie, der Klimakrise und aufgrund der Folgen des Überfallkrieges auf die Ukraine zu gewissen Stillständen kommen kann, jedoch ist dies nur bis zu einem bestimmten Grad tolerierbar“, betont Küster. „Auch und gerade in Krisenzeiten sind wir als Kommunalpolitik gefordert, nicht nur zu reagieren, sondern vielmehr zu agieren, um das Heft des Handelns in der Hand zu behalten.“

Die Fraktion, heißt es weiter, sei daher sehr zuversichtlich, aus der Opposition heraus vieles schneller und besser für Moers bewirken zu können. Dazu gehöre für Die Grafschafter“ unter anderem die Weiterentwicklung des Gebietes Kohlenhuck, zum Beispiel als Standort für Forschung, zur Produktion von grünem Wasserstoff und Schaffung von zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen.

Durch den Schritt in die Selbstständigkeit wieder aufs politische Tableau bringen wolle man zudem Themen wie ein Kinder- und Jugendparlament, die Wiederbelebung des Moerser Parkfestes und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum mittels Auflage eines Förderprogramms.

Von Beginn an klar war für Küster dabei, dass ein wahrnehmbarer, die Mehrheiten grundlegend verschiebender Ausstieg aus dem Bündnis nur gelingen kann, wenn mindestens zwei der kleinen Partner gemeinsam gehen.

Grafschafter, Die Partei und Linke Liste haben jeweils zwei Sitze im Moerser Stadtrat, die Grünen neun und die SPD 16. Mit dem Ausstieg von Grafschaftern und Die Partei schrumpft das einstige Fünferbündnis also von 31 auf 27 Mitglieder. Die Opposition bestehend aus CDU (14 Sitze plus Bürgermeister Christoph Fleischhauer), Liberaler Union (vier Sitze), Grafschaftern (zwei Sitze), Die Partei (zwei Sitze), Fraktion Für Moers (zwei Sitze), AfD (zwei Sitze) und Einzelratsmitglied Daniel Friesz kommt nunmehr auf 28 Stimmen.

„In der Konsequenz heißt das, dass man sich künftig bei jeder Entscheidung um Mehrheiten bemühen muss“, sagt Karin Pohl, Fraktionsvorsitzende der Linken Liste. „Ich finde das gut, denn das stärkt die Demokratie. Unabhängig davon haben die Fraktionsmitglieder der Linken Liste beschlossen, Teil des Bündnisses mit SPD und Grünen zu bleiben.“

Nicht so die Satire-Partei Die Partei. Die Fraktionsvorsitzenden Carsten Born und Carsten Müller nennen unter anderem „machttaktische Vorwehen des Wahlkampfs 2025“ als Grund für den Austritt aus dem Fünferbündnis.

Deutschlandweit erstmalig in der Geschichte der Partei hatte sich nach der Kommunalwahl 2020 in Moers eine Fraktion einem Mehrheitsbündnis im Stadtrat angeschlossen. Ziemlich genau zwei Jahre später sei es an der Zeit, erneut Geschichte zu schreiben und als erste Partei-Fraktion aller Zeiten ein Mehrheitsbündnis zu verlassen, schreiben Born und Müller.

Nach zwei Jahren „5er-Koop“ habe sich in Moers nichts bewegt, kritisieren die Fraktionschefs: „Es gab ein Papier mit Zielen, mit dem wir uns abgesehen aller satirischen Aspekte identifizieren konnten. Davon wurde die Fachstelle für Demokratie verwirklicht und die Existenz dieses Papiers dann vergessen. Unsere Frage, wie die dort genannten Ziele denn nun verfolgt werden, führte bei SPD und Grünen zu großer Verwunderung.“

 26.07.2019 , MO Moers , Claus Peter Küster , Die Grafschafter.

26.07.2019 , MO Moers , Claus Peter Küster , Die Grafschafter.

Foto: Christoph Reichwein/Die Grafschafter
 Carsten Butterwegge, Carsten Born

Carsten Butterwegge, Carsten Born

Foto: Josef Pogorzalek

Hinzu komme die Erfahrung, dass die SPD-Spitze aus Verwaltungshandpuppen bestehe, heißt es weiter. Die Grundhaltung sei: Wenn die Verwaltung etwas nicht will, kann man ja nichts machen. „Das Bewusstsein, dass da der Schwanz mit dem Hund wedelt, fehlt“, sagen Born und Müller. Effektiv werde Moers von einer Verwaltung geleitet, deren Handeln von Formalismus und übergroßer Vorsicht geprägt sei, lautet das Fazit der Fraktionsvorsitzenden. „Insgesamt sehen wir hier im Kleinen genau das, was Deutschland im Großen in den Sinkflug bringt“, so Born und Müller. „Manche sagen, das hätte uns vorher klar sein können. Mag sein. Dann waren wir damals jung und naiv und sind heute nur noch jung. Jedenfalls: Für uninspirierte Realsatire und das Durchwinken von Stillstand sind wir nicht zu haben.“

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