Kolumne „Klingelbeutel“ Wie lange noch?

Moers · Gastautor Heinrich Bösing, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Martinus Moers, macht sich Gedanken: Darüber, wie die Corona-Pandemie unsere Gesellschaft verändern wird und was sich aus seiner Sicht verändern muss.

 Pfarrer Heinrich Bösing in seinem Büro im Pfarrhaus St. Martinus

Pfarrer Heinrich Bösing in seinem Büro im Pfarrhaus St. Martinus

Foto: Dieker, Klaus (kdi)

Wie lange noch? Das ist die Frage, die fast alle bewegt. Wie lange noch müssen wir mit den Einschränkungen leben, die die Corona-Krise ausgelöst hat? Lockerungsschritte sind vereinbart, aber die Krise ist noch nicht zu Ende. Wann sie überstanden sein wird, weiß niemand vorherzusagen, selbst die Experten nicht.  Auch wenn in ein oder zwei Jahren ein Impfstoff bereit steht – und dann hoffentlich für alle Menschen auf der Welt – selbst dann werden wir noch lange mit den Folgen zu tun haben, die das Virus in wirtschaftlicher, kultureller, sozialer, gesundheits- und bildungspolitischer Hinsicht ausgelöst hat.

Unsere Gesellschaft wird sich verändern, und sie muss sich verändern. Es wird immer klarer, dass das ständige Höher-, Schneller-, Besser-Weiter-So an seine Grenzen gestoßen ist. Wir meinen, wir seien die Krone der Schöpfung, die Beherrscher der Welt. Wir meinen, dass unser Erfindungsreichtum unerschöpflich ist, unersetzlich, unglaublich und dass der Fortschritt nicht aufzuhalten ist. Und da kommt ein Winzling, ein Virus, und bringt alles ins Wanken, was für uns selbstverständlicher Alltag ist. Dieses Virus nimmt uns die Kronen ab und wirft uns auf uns selbst zurück.

Es lässt uns fragen: Wer bin ich ohne Krone? Wir werden uns bewusst, wie abhängig  voneinander und wie angewiesen aufeinander wir sind. Gerade die Berufsgruppen, die gesellschaftlich nicht im Rampenlicht standen, erhalten plötzlich den Beifall von Hunderttausenden. Wir spüren, wie sehr wir einander brauchen. Wir machen eine neue Erfahrung. Das Virus bringt uns zu einer neuen Nachdenklichkeit. Zu dieser Nachdenklichkeit gehört auch der Blick über den eigenen Tellerrand. Wie gestalten wir unser Zusammenleben auf diesem Globus? Was ist mit der Klimakrise, die ja nicht aufgehört hat zu existieren, seitdem es Covid-19 gibt. Wie lange noch werden wir brauchen, um im globalen Verbund miteinander wirksame und beherzte Maßnahmen gegen die Klimaveränderung auf den Weg zu bringen? Wie lange noch wird es dauern, bis wir uns darauf verständigt haben, die Ursachen der Flüchtlingskatastrophe zu bekämpfen? Wie lange müssen wir noch warten, dass Lebensmittel und Lebenschancen gerecht auf dieser Welt verteilt werden und der eine nicht mehr auf Kosten des anderen lebt? Wie lange noch? Alle diese Fragen bündeln sich für mich in der einen Frage, die ich an mich selber stelle: wie lange noch will ich warten, für mich die Konsequenzen zu ziehen aus den vielen Krisenerscheinungen, die wir zur Zeit erleben?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort