Nach tödlichem Autorennen in Moers „Der Fall ist sehr komplex“ – BGH vertagt Entscheidung über Revision

Update | Moers · Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben Rechtsmittel gegen die Strafe von vier Jahren für den ursprünglich wegen Mordes verurteilten Haupttäter eingelegt. Wie die Bundesanwaltschaft argumentiert und das Gericht den Fall einschätzt.

Tödliches Autorennen in Moers​: Trauer um 43 Jahre alte Mutter​
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Trauer um 43 Jahre alte Mutter

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Foto: dpa/Marius Becker

Die juristische Aufbereitung eines illegalen Autorennens mit tödlichem Ausgang in Moers ist noch nicht abgeschlossen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich am Donnerstag bereits zum zweiten Mal mit dem Fall befasst. Der vierte Strafsenat verhandelt über die Revisionen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gegen ein Urteil, mit dem gegen den Raser vier Jahre Haft verhängt wurden.

Selten hat ein Schicksal die Menschen in Moers so berührt wie das der 43 Jahre alten Mutter, die am Ostermontag 2019 auf der Bismarckstraße in Meerbeck mit ihrem Auto in ein Rennen zwischen zwei hochmotorisierten Autos geriet und später im Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen starb. Beim Abbiegen aus einer Seitenstraße stieß der Kleinwagen mit dem 612 PS starken Mercedes-AMG eines Duisburgers zusammen. Der damals 22 Jahre alte Fahrer, der keinen Führerschein besaß, war in der 50er-Zone mit bis zu 167 km/h unterwegs.

Im Februar 2020 verurteilte ihn das Klever Landgericht deshalb wegen Mordes und der Teilnahme an einem verbotenen Autorennen mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Verteidigung legte gegen die Entscheidung Revision ein, der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf. Die Karlsruher Richter befanden, dass sich das Landgericht nicht ausreichend mit der subjektiven Einschätzung des Angeklagten über die Gefährlichkeit seines Tuns auseinandergesetzt hatte.

Im Juni 2021 wurde der Fall deshalb neu verhandelt. Und diesmal entschied die Kammer nicht, wie von Staatsanwaltschaft und Nebenklage beantragt, auf Mord, sondern verurteilte den Angeklagten, der damals vom Unfallort flüchtete und sich erst mehrere Tage nach der Tat stellte, wegen Teilnahme an einem illegalen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.

Das Gericht, erklärte damals eine Gerichtssprecherin, habe beim Angeklagten das „den Tod billigend in Kauf nehmen“, das „sich damit abfinden, dass jemand stirbt“ – sprich: den bedingten Tötungsvorsatz – nicht sicher feststellen können.

Diese Beurteilung griff die Bundesanwaltschaft nun an. Ihre Vertreterin zielte insbesondere auf das Verhalten des Angeklagten nach dem Zusammenstoß ab. Er hatte das Auto abgestellt und war weggelaufen, ohne sich um die Schwerverletzte zu kümmern. Danach versteckte er sich tagelang, bis er sich den Behörden stellte.

Der Mann habe nicht davon ausgehen können, dass der andere Raser oder Zeugen sofort Hilfe holen würden, sagte die Vertreterin der Bundesanwaltschaft. Das Landgericht habe nicht genau genug geprüft, ob hier eine Tötung durch unterlassene Hilfeleistung vorliege.

Der Anwalt der Nebenklage griff die Tatsache an, dass das Landgericht dem Angeklagten mangelnde intellektuelle Fähigkeiten unterstellt habe. Der Mann sei zwar viermal durch die theoretische Fahrprüfung gefallen. Das bedeute aber keineswegs, dass er nicht Auto fahren könne. Auch sein Schulabschluss lasse keine Rückschlüsse darauf zu.

Die Verteidigerin des Rasers wies darauf hin, dass es ein extrem kurzes Rennen auf leerer Straße an Ostern gewesen sei. Alles habe sich innerhalb von fünf Sekunden abgespielt. Ein Tötungsvorsatz habe ihrem Mandanten ferngelegen. Mehrere Zeugen hätten den Unfall beobachtet, und er habe davon ausgehen können, dass jemand Hilfe holen würde.

Nach zwei Jahren und zwei Monaten Untersuchungshaft unter Corona-Bedingungen war der mittlerweile 24 Jahre alte Hauptangeklagte unter Applaus aus dem Publikum vorerst in die Freiheit entlassen. Für die Familie der Verstorbenen – den Ehemann und die beiden erwachsenen Kinder – sei das und die geringe Höhe der verhängten Strafe nur schwer zu ertragen, sagte Nebenklagevertreter Christian Stieg kurz nach dem Urteil im Gespräch mit der Redaktion. „Sie hatten sich ein deutliches Signal gewünscht.“

Dass das Landgericht die Hinweise des BGH aufnehmen und nicht auf Mord entscheiden würde, damit hatte der Fachanwalt für Verkehrs- und Strafrecht, der die Nebenklage im ersten und zweiten Prozess vertrat, damals zwar gerechnet. „Auch wenn die Abwägung kompliziert und schwer zu verstehen ist – juristisch halte ich sie für vertretbar“, sagte er. Überrascht sei er jedoch über die sehr milde Strafzumessung. Die Höchststrafe für die Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge betrage immerhin zehn Jahre. Der zweite am Rennen beteiligte Fahrer, der – anders als der Angeklagte – nicht auf der Gegenfahrbahn fuhr, der einen Führerschein hatte, der nach der Kollision nicht direkt floh, sondern nach dem Unfallopfer schaute und sich nicht acht Tage lang versteckte, befindet sich aktuell in Haft. Er wurde in erster Instanz zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Seinen Antrag auf Revision hat der BGH abgelehnt.

Entscheidet Karlsruhe jetzt genauso über die Revision der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage, wird auch das Klever Urteil aus Juni 2021 gegen den Hauptangeklagten rechtskräftig. Bislang befindet der sich noch auf freiem Fuß. Stimmen die Richter den Argumenten der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage hingegen zu und geben dem Revisionsantrag wegen nachweislicher Verfahrensfehler statt, wird der Fall an eine andere Kammer des Landgerichts Kleve verwiesen und erneut verhandelt – dann zum dritten Mal.

„Es treibt mich einiges um“, erklärte der Vorsitzende Richter am BGH, Andreas Quentin, zum Ende der Verhandlung. Der Fall sei sehr komplex, der Senat werde ausführlich beraten. Der Bundesgerichtshof erhebt dabei nicht selbst neue Beweise, sondern überprüft das Urteil aus Kleve auf Rechtsfehler.

Am 16. Februar soll in Karlsruhe eine Entscheidung verkündet werden.

(juha/afp)
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