Moers Moyland zeigt "Krieg im Kleinformat"

Moers · Druckgrafik, Holzplastiken und Bronzemedaillen zum Ersten Weltkrieg: Gratwanderung zwischen Propaganda und Kunst. Bis Ende September können historisch Interessierte eine ungewöhnliche Ausstellung besuchen.

 Edmond Bille, Rumeurs guerrieres - Krieggerüchte entstand 1919.

Edmond Bille, Rumeurs guerrieres - Krieggerüchte entstand 1919.

Foto: Anja Settnik

100 Jahre liegt das Ende des Ersten Weltkriegs zurück. Eine Ausstellung mit Werken aus jener Zeit - wir denken kopfschüttelnd an die Begeisterung, mit der damals hunderttausende junge Menschen in den Krieg zogen - könnte heroische Bilder zeigen, den Krieg verharmlosen, den Heldenmut der Akteure feiern. Doch die Ausstellung "Der Große Krieg im Kleinformat", Graphik- und Medaillenkunst zum Ersten Weltkrieg, tut nichts dergleichen. Sie zeigt mit den Mitteln, die (Untergrund-)Künstlern damals zur Verfügung standen, was erst heute einem großen mit der Geschichte vertrauten Publikum offenbart werden kann.

Eine Wand mit dem Untertitel "Junge Helden" gibt es auch, aber da braucht es keine didaktische Aufbereitung, um den Betrachter darauf zu stoßen, dass die helmbewehrten breitnackigen Soldaten, die da zuversichtlich in die Weite blicken, irren. Heute ist die Darstellung dieser "Helden" sofort als Propaganda enttarnt. Sie hat all dem Tod, dem Leid, der Verfolgung und Verzweiflung an Kraft wenig entgegenzusetzen.

Konzipiert hat die Ausstellung die Kölner LETTER-Stiftung, deren Vorsitzender Dr. Bernd Ernsting sie auch kuratiert hat. Moylands Kuratorin Barbara Strieder hat bei der Organisation geholfen, sich aber inhaltlich nicht eingemischt. Ebensowenig wie Franz Rudolf van der Grinten, Vorstandsmitglied der Stiftung Museum Schloss Moyland, der beim Presserundgang dabei war und auch bei der Eröffnung spricht. Das Besondere der Schau, die bis Ende September in Moyland zu sehen sein wird, ist, dass die immer kleinformatigen Werke in der Zeit ihrer Entstehung unauffällig zu sein hatten. Denn durch die Zensur wären nur wenige von ihnen gekommen. Grafik- und Medaillenkunst waren "heimliche Künste der Schublade", sagt Bernd Ernsting. Betrachtet haben sie damals sicherlich nur vertrauenswürdige Einzelne.

Einige der Künstler, deren Grafik und Skulpturen gezeigt werden, sind bis heute bekannt oder sogar für ihre Malerei berühmt (Otto Dix, George Grosz, Max Slevogt), viele auch nicht, manche Werke sind sogar namenlos. Das macht sie nicht weniger wichtig, findet Ernsting, "denn vor welchem Hintergrund sollten die großen ,Stars' leuchten, wenn es die vielen kleinen nicht gäbe?" Seine Stiftung habe in 25 Jahren recht unstrukturiert gesammelt, "vom Alten Ägypten bis in die 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts." Dieses unhomogene Profil zeige eine gewisse Nähe zur Moyländer Sammlung. Ergebnis ist eine thematische Schwerpunktsammlung, die dem Betrachter Erkenntnisgewinn durch Ansehen und Vergleichen bringe. So ist das auch bei der aktuellen Ausstellung, die ohne erklärende Schrifttafeln auskommen möchte. Besucher können ein Leseheft ausborgen und dieses später zurücklegen. Oder einen Katalog kaufen, der mehr wie ein privates Fotoalbum gestaltet ist - mit einer Metallprägung nach dem Vorbild der gezeigten Medaillen im Cover (39.50 Euro im Museumsshop).

Um die überhaupt erkennen zu können, ist eine Reihe Guckkästen, mit Mini-Taschenlampe selbst zu beleuchten, in der Ausstellung aufgebaut. Unter diesen Kleinreliefs stechen Arbeiten von Ludwig Gies hervor, der Jahrzehnte später den "Bundesadler" schaffen sollte. Nicht dumpfer Patriotismus, sondern der Blick auf den Menschen in seiner Not ist von diesen Bronzemedaillen abzulesen. "Totentanz", "Angriff" oder "Die Bombe" sind in ihrer Ablehnung von Gewalt kaum misszuverstehen.

Die Ausstellung ist seit mehreren Jahren unterwegs, Bernd Ernsting hat die drei Räume in Moyland mit Zwischentiteln an den Wänden geordnet: "Panorama des Schreckens", "Neue Waffen", "Tod und Trauer", "Apokalypse", "Die Frau". Explodierende Bomben in rot und schwarz sowie dunkle Grabkreuze auf den weißen Wänden machen es es auch bei nur flüchtigem Vorübergehen an den 370 Arbeiten unmöglich, emotional unberührt zu bleiben.

Dass einige Arbeiten künstlerisch nicht von großer Qualität sind, dürfte auch mit dem Schicksal derjenigen zu tun haben, die sie geschaffen haben. Kriegsversehrte, gar Erblindete sind dabei. Traumatisiert dürften viele gewesen sein. Am Ausgang der Ausstellung erschreckt die Holzplastik "Kriegsfurie". Im Jahr 1935 geschaffen, sieht der Künstler den nächsten Weltkrieg offenbar schon heraufziehen. Die Alte mit dem irren Blick und den wirren Haaren wirft sich dem Untergang begeistert entgegen.

Führungen zur Ausstellung gibt es an jedem Sonn- und Feiertag. Schulen dürfen gerne Kontakt aufnehmen, jüngere Kinder könnten überfordert sein.

(RP)
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