Kultur in Moers Auf den Spuren eines Nazi-Mitläufers

MOERS · Cornelia Niemann zeigte bei den Penguin’s Days eine szenische Collage, in deren Mittelpunkt ihr Vater steht.

 Cornelia Niemann auf der Bühne in der Geschwister-Scholl-Gesamtschule.

Cornelia Niemann auf der Bühne in der Geschwister-Scholl-Gesamtschule.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Mit zwei Aufführungen im Rahmen der Moerser „Penguin’s Days“ wird Schauspielerin und Kabarettistin Cornelia Niemann im Gedächtnis der Jugendlichen bleiben. Die Bühne an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule gleicht einem überquellenden Arbeitsplatz mit Laptop, Akten, Büchern und jeder Menge zerknülltem Papier. Kinderkleidung schmückt den Hintergrund. Die Frankfurter Schauspielerin sitzt mit Trenchcoat auf dem Rollkoffer. Szenen aus dem heutigen Krakau sind auf einer Leinwand zu sehen, ein Art Dokumentation, die neugierig macht.

Cornelia Niemann ist Jahrgang 1943 und „Generation Heimaturlaub“, wie sie erzählt. Ein Koffer ihrer Mutter wurde über Jahrzehnte gehütet, bis sie sich mit ihrer Schwester traute, ihn zu öffnen. Liebesbriefe der Eltern und Kinderkleidung enthielt er, und zugleich die stille Aufforderung, auf Spurensuche zu gehen. Nach einem Vater, den sie als Kind kaum erlebt hatte, der sich in Krakau während des Kriegs am „Institut für Deutsche Ostarbeit“ als Historiker mit Rechtsgeschichte befasste. Das Amt im Dienst der Besatzungspolitik betrieb Rassenforschung. Sein Vorgesetzter war Hans Frank, Hitlers Generalgouverneur im besetzten Polen, der später bei den Nürnberger Prozesses zum Tode verurteilt wurde.

Das Stück „Möchten Sie Ihren Vater wirklich in den Papierkorb verschieben?“ ist eine Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Das Stück spielt auf verschiedenen Ebenen. Cornelia Niemann liest aus den Briefen des Vaters vor, beschreibt Bilder, die sie vom zerstörten Deutschland zum Kriegsende im Kopf hat. In Form einer Collage bringt sie Textpassagen aus dem Buch des Journalisten Niklas Frank „Der Vater. Eine Abrechnung.“ Als Sohn des Generalgouverneurs rechnet Niklas Frank mit den Gräueltaten des Vaters ab. Auszüge druckte in den 1980er Jahre der Stern.

Die Botschaft von Cornelia Niemann machen auch Filmsequenzen deutlich, in denen sie mit Jugendlichen in einer Frankfurter Schule das Stück „Der Koffer“ von Malgorzata Sikorska-Miszczuk probt. Darin geht es um einen Jungen, dessen Vater in Auschwitz ermordet wurde. „Kann man verzeihen, wenn man vergisst?“, lautet eine ihrer zentralen Fragen. Wie gingen Kinder von Kriegsverbrechern mit der Situation um? War ihr Vater ein Mitläufer, ein Werkzeug oder überzeugter Nazi? Aus verschiedenen Briefen nach Kriegsende zitiert Niemann und zeichnet das Bild eines Menschen, der sich ganz zum Schluss dem Widerstand anschloss und sich endlich nach England absetzte, so die Ergebnisse beim Suchdienst. Nach Deutschland, zu seiner Familie, kehrte er nicht mehr zurück.

Das Weitertragen von menschenverachtenden Ereignissen ist Niemann wichtig. „Ihr seid die letzte Generation, die noch Kontakt zu Zeitzeugen aus der NS-Zeit hat“, so Niemann. Die Frage der Verantwortung bleibt. Nachdenklichkeit beim jungen Publikum ist nach über zwei Stunden spürbar. Cornelia Niemann hat ihre Geschichte erzählt und damit den Auftrag „Erinnern“ an die Schulklassen vergeben. „Das Wissen um diese Zeit ist wichtig“, sagte Zehntklässlerin Gizen (16). „Auch für uns ist es wichtig, eben weil wir nicht mehr Betroffene sind“, ergänzte Max (16). Der Moerser Verein „Erinnern für die Zukunft“ hat die Aufführung unterstützt.

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